Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Kindergeld. Kindergeld für sich selbst. Nichtkenntnis des Aufenthalts der Eltern. enger Ausnahmetatbestand. Telefonanrufe von der Mutter in Syrien. Erschwerung der Kontaktaufnahme aufgrund örtlicher Bedingungen im Ausland. keine Relevanz der Leistungsfähigkeit der Eltern. keine erweiternde Auslegung für Flüchtlingskinder ohne Familie in Deutschland
Orientierungssatz
1. Bei der Regelung des § 1 Abs 2 BKGG 1996 handelt es sich um einen Ausnahmetatbestand, der eng auszulegen ist (Anschluss an LSG Darmstadt vom 25.6.2014 - L 6 KG 3/11).
2. Es besteht daher kein Anlass, ein Kind trotz faktischer Kenntnis vom Aufenthalt der Eltern bzw des Elternteils mit einem Vollwaisen im Hinblick darauf gleichzusetzen, dass die praktische Kontaktaufnahme (hier: Telefonanrufe von der Mutter in Syrien) aufgrund äußerer örtlicher Bedingungen für einen gewissen Zeitraum erschwert ist.
3. § 1 Abs 2 BKGG 1996 knüpft tatbestandlich weder an die Leistungsfähigkeit der Eltern noch an deren faktisch ausbleibende Unterhaltsleistungen an. Eine (weit) über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende erweiternde Auslegung findet im Gesetz keinerlei Grundlage.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 26.11.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Kindergeld auf Grundlage von § 1 Abs. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG).
Der am 00.00.1998 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste am 13.09.2015 in die Bundesrepublik Deutschland als Flüchtling ein und hat eine Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage von § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz. Sein Vater ist am 00.07.2016 verstorben, seine Mutter lebt - ebenso wie seine beiden (jüngeren) Geschwister - in Syrien. Telefonischer Kontakt des Klägers zu seiner Mutter besteht. Seit August 2018 bis August 2021 machte er eine Ausbildung zum technischen Assistenten in der Medizin am Universitätsklinikum in A. Seine Ausbildungsvergütung betrug zwischen 965,24 Euro und 1122,03 Euro brutto.
Der Kläger beantragte am 06.04.2017 die Bewilligung von Kindergeld für sich selbst. Er gab an, den Aufenthaltsort seiner Eltern bzw. seiner Mutter kenne er nicht, habe aber tags zuvor mit ihr telefoniert, ein Aufgebotsverfahren wegen Verschollenheit habe er nicht beantragt. Mit Bescheid vom 04.07.2017 lehnte die Beklagte die Gewährung von Kindergeld auf Grundlage von § 1 Abs. 2 BKGG ab.
Mit Antrag vom 12.11.2018 beantragte der Kläger erneut die Bewilligung von Kindergeld. Sein Bevollmächtigter erklärte hierzu, die Mutter des Klägers lebe in N., M. in Syrien. Adressen mit Straßennamen und Hausnummern gebe es dort nicht. Sie lebe von einer kleinen Pension ihres verstorbenen Ehemannes; der Kläger habe gelegentlich Telefonkontakt zu ihr.
Mit Bescheid vom 07.02.2019 lehnte die Beklagte auch diesen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld mit Wirkung ab Juli 2018 ab. Der Kläger sei weder Vollwaise noch sei ihm der Aufenthaltsort seiner Eltern bzw. seiner Mutter unbekannt. Dem widersprach der Kläger am 28.03.2019. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.06.2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Kläger sei keine Vollwaise, kenne den Aufenthaltsort seiner Mutter und habe gelegentlichen telefonischen Kontakt zu ihr. Selbst bei sich ändernden Aufenthaltsorten seiner Mutter könne er daher ihren Aufenthaltsort zumindest telefonisch erfragen.
Dagegen hat der Kläger rechtzeitig zum Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben.
Er hat vorgetragen, der bestehende gelegentliche Telefonkontakt zur Mutter stehe einem Anspruch auf Grundlage von § 1 Abs. 2 BKGG nicht entgegen. Es handele sich hierbei um eine Härtefallvorschrift die auch in seinem Fall zum Tragen komme. Seine Mutter sei herzkrank und wirtschaftlich nicht in der Lage, ihm Unterhalt zu leisten. Unter Verweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 05.05.2015 (Az. B 10 KG 1/14 R) führt er aus, das sozialrechtliche Kindergeld diene alleinstehenden Flüchtlingen als Ausgleich für die eigenen Belastungen und sei daher nicht mit dem steuerrechtlichen Kindergeld vergleichbar. Seine Mutter habe keinen festen Wohnsitz da sie aufgrund des Bürgerkrieges nicht immer an einem Ort lebe. Sie sei selbst wirtschaftlich von ihrer Verwandtschaft abhängig.
Die Beklagte hat - unter Vorlage der Entscheidung - auf ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 05.07.2016 (Az.: L 3 KG 3/15) verwiesen und entgegnet, grundsätzlich diene das Kindergeld der elterlichen Entlastung und stehe Personen zu, die als Eltern oder ähnlich wie Eltern mit Unterhalt von Kindern belastet seien. Das sozialrechtliche Kindergeld nach § 1 Abs. 2 BKGG stelle eine Ausnahmeregelung dar und sei als solche eng auszulegen. Wenn Eltern im Ausland lebten - und deshalb keinen Kindergeldanspruch hätten - ...