Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Opferentschädigung. Schädigung des Kindes durch Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft. kein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff. Diagnose eines fetalen Alkoholsyndroms. kein Rückschluss auf Alkoholkonsum der Mutter
Orientierungssatz
1. Der Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft ist kein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG.
2. Aus der Diagnose eines fetalen Alkoholsyndroms (FAS) ergibt sich kein Nachweis eines Alkoholkonsums der Mutter während der Schwangerschaft, wenn ebendieser Alkoholkonsum seinerseits Voraussetzung für die Diagnose ist.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 08.12.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen eines mutmaßlichen Alkoholkonsums der Mutter des Klägers während der Schwangerschaft.
Der am 00.00.1957 geborene, ledige Kläger ist gelernter Konditor und Altenpfleger. Er wuchs zusammen mit zwei älteren Geschwistern auf. Die Eltern sind verstorben, die Mutter F bereits 1976. Der Rhein-Kreis O stellte beim Kläger mit Bescheid vom 13.10.2010 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 und mit Bescheid vom 30.11.2016 einen GdB von 90 fest. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege erkannte mit Bescheid vom 28.03.2011 eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit an, lehnte aber eine Zahlung von Rentenleistungen ab. Ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Düsseldorf wegen Anerkennung einer Hörstörung als Berufskrankheit blieb erfolglos (S 6 U 61/11).
Am 06.02.2014 stellte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG. Er sei noch im Mutterleib durch den Alkoholkonsum der Mutter geschädigt worden, was insbesondere zu Sensibilitätsstörungen an den Extremitäten, Schmerzen im Bereich von Bauch und Rücken sowie einer Beeinträchtigung seiner Konzentrationsfähigkeit geführt habe. Er benannte seine beiden Geschwister als Zeugen für den Alkoholkonsum der Mutter und legte Zeugnisse, ein Attest des Facharztes für Innere Medizin Dr. I aus 2012, ein Privatgutachten von Prof. Dr. T, Zentrum für Menschen mit angeborenen Alkoholschäden der D Universitätsmedizin C aus 2012 sowie ärztliche Befunde verschiedenster Fachrichtungen vor. In den ärztlichen Berichten des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes wurden als Diagnosen u.a. eine frühkindliche Entwicklungsverzögerung, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine dissoziative Störung genannt. Dr. I bescheinigte, dass die Mutter des Klägers an einer Alkoholkrankheit gelitten habe. Prof. Dr. T diagnostizierte ein partielles fetales Alkohol-Syndrom im Erwachsenenalter im Sinne einer Fetalen Alkohol Spektrum Störung (FASD). Es bestünden ein Minderwuchs (1,68m) und eine Dystrophie, die wahrscheinlich auch schon in der Kindheit vorgelegen hätten, eine kraniofaziale Dysmorphie sowie funktionelle ZNS-Störungen i.S.v. Verhaltensstörungen und sozialen Schwierigkeiten. Nach Aussage von Familienangehörigen sei die Mutter chronisch alkoholkrank gewesen und habe wahrscheinlich schon während der Schwangerschaft des Klägers getrunken. Letztlich könne aber nur eine Annäherung an die Diagnose erfolgen, da auch andere Noxen als Alkohol, genetische Faktoren und postnatale Veränderungen von Bedeutung sein könnten.
Der Beklagte holte einen Befundbericht von Dr. I ein und zog Unterlagen der Krankenkasse des Klägers bei. Mit Bescheid vom 11.09.2014 lehnte er den Antrag ab. Es sei zwar glaubhaft, dass die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert habe. Dieses Verhalten sei aber nicht strafbar gewesen, so dass kein tätlicher Angriff im Sinne des OEG vorliege. Der Kläger hat am 24.09.2014 Widerspruch eingelegt. Die Mutter habe eine strafbare Körperverletzung begangen. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2014 zurück.
Der Kläger hat am 14.11.2014 Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebe sich, dass das ungeborene Kind in den Schutzbereich des OEG einbezogen sei. Der erhebliche Alkoholkonsum der Mutter sei durch die Diagnose FAS bewiesen. Die Gefährlichkeit von Alkoholkonsum während der Schwangerschaft sei bereits damals Allgemeinwissen gewesen. Der Mutter sei diese Gefahr auch bewusst gewesen. Den Alkohol habe sie vorsätzlich konsumiert, die Folgen seien ihr offensichtlich gleichgültig gewesen. Einschlägig sei jedenfalls § 1 Abs. 2 Nr. 1 OEG. Vorsatz bezüglich des Verletzungserfolges sei nicht erforderlich. Dabei sei davon auszugehen, dass die Mutter ein drittes Kind angesichts ihrer sozialen Situation gar nicht gewollt und den Kläge...