Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an den tätlichen Angriff zur Gewährung von Opferentschädigung
Orientierungssatz
1. Die Gewährung von Opferentschädigung setzt grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende gewaltsame Einwirkung voraus. Dabei genügt es, wenn in strafbarer Weise die körperliche Integrität eines Anderen verletzt wird. Handlungen, die den Geschädigten ohne unmittelbare Einwirkung auf den Körper attackieren, fallen nicht unter das OEG, auch wenn das Opfer dadurch psychisch erkrankt.
2. Ohne eine körperliche Einwirkung irgendeiner Art ist ein tätlicher Angriff i. S. des § 1 OEG zu verneinen, auch wenn der Täter Straftatbestände verwirklicht hat.
3. Solange ein Täter, der beim Onanieren vor einem Kind den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs nach § 176 Abs. 5 Nr. 1 StGB erfüllt, das Kind nicht in seine Handlungen einbezieht, begeht er keinen tätlichen Angriff i. S. des § 1 OEG. Opferentschädigung ist in einem solchen Fall nicht zu gewähren.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 23.09.2008 wird zurückgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger beansprucht Leistungen nach den Vorschriften des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der am 00.00.1967 geborene Kläger stellte im August 2007 beim Versorgungsamt F einen Antrag auf Versorgungsleistungen nach dem OEG. Er sei während einer Klassenfahrt in der sechsten Klasse auf die Jugendburg I am 17.06.1981 Opfer eines Missbrauchs geworden. Er habe sich arglos auf der Toilette befunden. Als er die Toilettenkabine verlassen habe, habe er "sst - sst" gehört und in die Richtung geschaut, aus der das Zischen kam. Der Busfahrer der Klassenfahrt habe mit entblößtem Unterkörper und erigiertem Glied im Bereich der Pissoirs onaniert. Zu einem Gespräch oder einem körperlichen Kontakt sei es nicht gekommen. Unmittelbar nach Erfassen der Situation sei er zum Schlafraum gerannt und in sein Bett gekrochen. Ein Klassenkamerad habe ihn gefragt, ob er schon schlafe. Darauf habe er heftig reagiert und "Halts Maul" gesagt. Er habe beim Einschlafen nicht mehr aufwachen wollen. In der folgenden Nacht habe er eingenässt. Der Busfahrer habe ihn bereits beim Einsteigen in den Bus bei Fahrtbeginn komisch angeguckt; dies habe er einem Schulfreund gegenüber auch kommentiert. Am ersten oder zweiten Tag in I habe er ihm und dem Freund sein Schlafzimmer gezeigt. Der damalige Schulfreund sei zwischenzeitlich verstorben. Infolge des Ereignisses leide er an Stressempfindlichkeit, Vertrauensverlust, Traumatisierung, Angststörung, Ichbezogenheit und gelegentlichen Schlafstörungen und Krampfanfällen. Eine reguläre Arbeit habe er nach seinem Real- und Fachhochschulabschluss nie aufnehmen können und diverse Hilfstätigkeiten ausgeführt.
Das Versorgungsamt F gab den Vorgang an das zuständige Hessische Amt für Versorgung und Soziales ab. Dieses zog die Akte der Staatsanwaltschaft F bei, weil der Kläger bereits im Juni 1998 Strafanzeige gegen den Busfahrer "B" gestellt hatte. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ohne weitere Ermittlungen wegen Verjährung ein.
Mit Bescheid vom 24.10.2007 lehnte der Beklagte den Antrag auf Versorgung nach dem OEG ab. In der Begründung führte er aus, es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger Opfer einer Gewalttat geworden sei. Selbst unter Zugrundelegung seiner Angaben liege kein tätlicher Angriff iSd § 1 Abs 1 OEG vor.
Auf den Widerspruch des Klägers ließ der Beklagte ihn durch Medizinaldirektor Dr. K im November 2007 untersuchen und begutachten. Dieser bestätigte die im Schwerbehindertenverfahren gestellte Diagnose einer Persönlichkeitsstörung und Angstsyndrom (Grad der Behinderung - GdB - 50), sah aber keinen Zusammenhang mit der angeschuldigten Tat. Die für Sekundenbruchteile bestehende Situation ohne Körperkontakt oder sonstige Gefährdung sei nicht geeignet, eine Störung im geltend gemachten Umfang bei einem gesunden Jungen dieses Lebensalters (damals 13,75 Jahre) auszulösen.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.12.2007 zurück. Es habe schon kein tätlicher Angriff vorgelegen. Ergänzend sei festzustellen, dass das geltend gemachte Ereignis keinen abgrenzbaren Einfluss auf die vorbestehende seelische Störung ausgeübt habe.
Der Kläger hat am 19.12.2007 Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen des § 1 OEG seien erfüllt.
Mit Urteil vom 23.09.2008 hat das SG die Klage abgewiesen. Mangels Einwirkungen auf die körperliche Integrität des Klägers fehle es an einem tätlichen Angriff iSd § 1 OEG.
Mit seiner hiergegen am 24.09.2008 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, er habe das Verhalten des Busfahrers als tätlichen Angriff empfunden. In einem am 21.01.2009 durchgeführten Erörterungstermin erläuterte der Kläger zu den ört...