Entscheidungsstichwort (Thema)
Richter. Ehegatte der Prozeßbevollmächtigten. Befangenheit
Leitsatz (amtlich)
Ist ein Richter der Ehegatte des Prozeßbevollmächtigten eines Beteiligten, so liegt regelmäßig die Besorgnis der Befangenheit vor.
Verfahrensgang
SG Mainz (Aktenzeichen S 6 U 349/96) |
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen den Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz, Richter am Sozialgericht H., wird für begründet erklärt.
Tatbestand
I.
Die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, Sabine H., ist die Ehefrau des Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz, Richter am Sozialgericht H.. Die Rechtsanwälte Hi. und Dr. Markus R., in deren Anwaltssozietät die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin tätig ist, sind deren Vater bzw. Bruder.
Nach Hinweis des Sozialgerichts vom 26.2.1998 auf diesen Sachverhalt hat die Beklagte, ohne sich zwischenzeitlich weiter zur Sache einzulassen oder Anträge zu stellen, mit Schriftsatz vom 9.3.1998 beantragt, den Vorsitzenden der 6. Kammer des Sozialgerichts Mainz, Richter am Sozialgericht H., wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Entscheidungsgründe
II.
Das nach §§ 60 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 43 Zivilprozeßordnung (ZPO) zulässige Ablehnungsgesuch der Beklagten ist begründet.
Für die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen gelten gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 SGG die §§ 41 bis 44, 45 Abs. 2 S. 2, 47 bis 49 ZPO entsprechend. Nach § 42 Abs. 1 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Diese Besorgnis ist nach § 42 Abs. 2 ZPO dann gegeben, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob ein Richter tatsächlich befangen ist, sondern darauf, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl., § 60 Anm. 7 m.w.N.; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 56. Aufl., § 42 RdNr. 10 m.w.N.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 20. Aufl., § 42 Anm. 9 m.w.N.; Stein-Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 42 Anm. 2 m.w.N.).
Ist der Prozeßbevollmächtigte eines Beteiligten mit dem Richter verwandt oder verschwägert, so sind aus der Sicht des anderen Beteiligten bei vernünftiger Betrachtung Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters nicht von der Hand zu weisen. Die enge persönliche Beziehung zwischen Ehegatten kann dazu führen, daß der Richter, auch ohne dies zu wollen oder zu bemerken, in einen Konflikt gerät zwischen der gebotenen und von ihm verlangten Unparteilichkeit und Neutralität einerseits und der bei enger persönlicher Beziehung geradezu zu erwartenden Sympathie und Loyalität andererseits. Zu Recht kann daher der andere Beteiligte in einer solchen Lage Zweifel haben an der Unparteilichkeit des Richters. Um das Vertrauen in die Rechtspflege im Einzelfall zu erhalten, ist es aber geboten, bereits im Zweifel vom Vorliegen der Besorgnis der Befangenheit auszugehen (Thomas-Putzo, ZPO, 20. Aufl., § 42 Anm. 9; Zöller/Vollkommer, a.a.O., Anm. 10 m.w.N.).
Eine ähnliche Konfliktlage des Richters, nämlich in Sachen seines Ehegatten, auch eines früheren, oder in Sachen eines Verwandten oder eines mit ihm Verschwägerten entscheiden zu müssen, hat der Gesetzgeber in § 41 Nr. 2 und 3 ZPO dergestalt geregelt, daß in diesen Fällen der Richter kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist. Hierdurch hat der Gesetzgeber bereits erkennen lassen, daß in derartigen Konfliktlagen der Richter nicht über die Streitsache entscheiden soll. Daß § 41 ZPO, der die Fälle des Ausschlusses eines Richters kraft Gesetzes abschließend aufzählt (Meyer-Ladewig, a.a.O., Anm. 3), den hier streitgegenständlichen Fall, daß der Richter mit dem Prozeßbevollmächtigten eines Beteiligten verheiratet ist, nicht aufführt, läßt nicht den Umkehrschluß zu, daß in diesem Fall keine Besorgnis der Befangenheit vorliegt. Es ist nämlich anerkannt, daß das Ablehnungsrecht nach § 42 Abs. 1 ZPO die eng gefaßten Ausschließungsgründe erweitern kann (LSG Rheinland-Pfalz vom 25.3.1993, Az. L 5 Sb 21/93; Meyer-Ladewig, a.a.O., Anm. 7). Wenn bei engen persönlichen Beziehungen eines Richters zu einem Beteiligten wie einem Verlöbnis, einer Liebesbeziehung, einer persönlichen Freundschaft oder auch bei einer ausgeprägten Feindschaft die Besorgnis der Befangenheit vorliegen kann (Thomas-Putzo, ZPO, § 42 Anm. 10 m.w.N.); so kann bei einem Eheverhältnis zwischen Richter und Bevollmächtigtem eines Beteiligten nichts anderes gelten, weil die Konfliktlage, in der der Richter sich aufgrund der engen persönlichen Beziehung befindet, und die sich hierauf gründenden Zweifel des anderen Beteiligten an der Unparteilichkeit des Richters in all diesen Fällen vergleichbar sind.
Eine ähnliche Wertentscheidung des Gesetzgebers wie in § 41 Nr. 2 und 3 ZPO findet sich auch in § 20 Abs. 1 Nr. 2 und 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Nach dieser Vorschrift soll die Zulassung eines Anwalts bei ein...