Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Übernahme von Stromschulden. Vergleichbarkeit einer lang andauernden Stromsperre mit drohender Wohnungslosigkeit. Ermessensreduzierung. Ablehnung der Schuldenübernahme nur in atypischen Fällen. Verweis auf Selbsthilfemöglichkeit. zivilgerichtliche einstweilige Verfügung. nur bei entsprechender Beratung bzw Hilfestellung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Fall einer Sperrung der Stromversorgung durch das Versorgungsunternehmen wegen bestehender Zahlungsrückstände kommt eine der Darlehensgewährung durch den Träger der Grundsicherungsleistungen vorrangige Form der Selbsthilfe der Leistungsberechtigten dadurch, dass sie bei dem zuständigen Zivilgericht um vorläufigen Rechtsschutz gegen das Versorgungsunternehmen nachsuchen, in der Regel nur dann in Betracht, wenn die Leistungsberechtigten durch eine entsprechende Beratung und Hilfestellung in die Lage versetzt worden sind, die Möglichkeiten und Risiken eines solchen Rechtsschutzantrags abzuschätzen.
2. Bei einer über einen langen Zeitraum andauernden Sperrung der Stromversorgung liegt in der Regel eine der drohenden Wohnungslosigkeit vergleichbare Situation vor, die zur Anwendung des § 22 Abs 8 S 2 SGB 2 führt. Der Träger der Grundsicherungsleistungen kann dann die Gewährung eines Darlehens zum Ausgleich der bestehenden Schulden beim Energieversorger nur in atypischen Fällen ablehnen.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner einen Anspruch auf die Gewährung eines Darlehens für den Ausgleich seiner Schulden aus dem Vertragsverhältnis mit seinem Energieversorgungsunternehmen für die Lieferung von Strom für seinen Haushalt hat.
Der am ... 1965 geborene Antragsteller bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Er lebte bis Ende Februar 2008 mit seiner Frau und zwei Kindern zusammen in der jetzt noch von ihm allein bewohnten Dreiraumwohnung mit einer Wohnfläche von 71,7 qm in P ... Für die Miete der Wohnung und die Nebenkostenvorauszahlung fallen im Monat 270,00 EUR an. Die Wohnung wird mit einer Ölheizung beheizt, für die der Antragsteller selbst das Heizöl beschaffen muss. Für den Betrieb der Ölheizung ist nach dem Vortrag des Antragstellers elektrische Energie (Strom) erforderlich. Im März 2008 zog die damalige Ehefrau des Antragstellers (die Eheleute sind inzwischen geschieden) mit den beiden Töchter in eine andere Wohnung. Als Grund hierfür gab die damalige Ehefrau des Antragstellers gegenüber der Arbeitsgemeinschaft SGB II M. L. (Arge), die bis Ende 2010 als Rechtsvorgängerin des Antragsgegners die zuständige Trägerin der Grundsicherungsleistungen war, an: Sie könne und wolle die Ehe und das Zusammenleben nicht fortsetzen, weil der Antragsteller nach zehn Jahren Alkoholabstinenz wieder begonnen habe, Alkohol zu konsumieren und aggressiv reagiere. Es gebe erhebliche Probleme im Zusammenleben.
In der Zeit vor und nach der Trennung des Antragstellers von seiner Frau traten bei dem Antragsteller Probleme bei der Regelung seiner persönlichen Angelegenheiten auf; so zahlte er seine Miete und Abschlagzahlungen für die Versorgung mit Strom nur unregelmäßig oder überhaupt nicht. Der Antragsteller nahm auch einen Meldetermin bei der Arge nicht wahr, er verlor eine Arbeitsstelle in der Probezeit und kam einer Aufforderung zur Bewerbung auf eine Arbeitsstelle nicht nach. In den Zeiträumen vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2008 und vom 1. August bis zum 31. Oktober 2008 waren die Leistungen des Klägers zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen festgestellter Pflichtverletzungen um insgesamt 40 v. H. bzw. um 30 v. H. der Regelleistung abgesenkt. Wegen der Mietschulden sprach der Vermieter am 28. Januar 2009 eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus und drohte mit einer Räumungsklage, die er dann auch beim zuständigen Amtsgericht erhob. Das Energieversorgungsunternehmen e. Energie AG (e.) drohte mit der Einstellung der Belieferung mit Strom. In einem vor dem Sozialgericht Halle (SG) geführten Eilverfahren erklärte sich die Arge am 27. Mai 2009 bereit, dem Antragsteller zur Abwendung der Räumung der Wohnung ein Darlehen in Höhe von 2.046,52 EUR zu gewähren. Weiter gewährte die Arge dem Antragsteller ein Darlehen in Höhe von 993,36 EUR zum Ausgleich aufgelaufener Schulden für die Stromversorgung bei der e ... Die entsprechenden Beträge wurden direkt an den Vermieter bzw. die e. überwiesen. Für die Rückzahlung wurde ein Einbehalt in Höhe von 10% der Regeleistung ab dem Monat Juli 2009 vereinbart. Weiter wurde eine Direktzahlung der laufende Unterkunftskosten an den Vermieter durch die Arge ab Juli 2009 vereinbart; eine Direktzahlung für die Zukunft an die e. wurde nicht vereinbart. Infolge der Zahlung des Betrages...