Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eines ehrenamtlichen Bürgermeisters
Leitsatz (amtlich)
1. Ein ehrenamtlicher Bürgermeister unterliegt in Höhe von zwei Dritteln der bezogenen Aufwandentschädigung der Steuerpflicht und damit der Beitragspflicht in der Sozialversicherung.
2. Im einstweiligen Rechtsschutz wird bei der Festsetzung des Streitwerts ein Viertel der streitigen Beitragsforderung zugrunde gelegt.
3. Säumniszuschläge wirken sich nicht streitwerterhöhend aus.
Orientierungssatz
1. Ob ein Ehrenbeamter in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis steht, ist in einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der Ausgestaltung des Ehrenamtes in der Kommunalverfassung des jeweiligen Bundeslandes zu beurteilen.
2. Ist ein ehrenamtlicher Bürgermeister den Weisungen des Gemeinderates unterworfen, übt er eine verwaltende Tätigkeit tatsächlich aus und wird ihm für seine Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung gezahlt, so steht er in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Auf das zeitliche Verhältnis von repräsentativen Aufgaben und verwaltenden Aufgaben kommt es dabei nicht an.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 293,79 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Beiträgen für die Tätigkeit des Bürgermeisters der Antragstellerin vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2008.
Die Antragstellerin, im Folgenden Ast., ist eine Gemeinde in Sachsen-Anhalt, die der Verwaltungsgemeinschaft "Seegebiet M. L." angehört. Die Ast. beschäftigt zwei Gemeindearbeiter. Seit Oktober 1994 ist H. M. (H.M.) als ehrenamtlicher Bürgermeister der Ast. bestellt und erhält auf Grund seiner Amtsstellung von der Ast. eine monatliche Zahlung in Höhe von 767,00 EUR. H.M. stand in dem hier maßgebenden Zeitraum im Übrigen in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis, für das für den Zeitraum vom 4. August bis zum 31. Dezember 2008 Beiträge auf der Grundlage eines Bruttoarbeitsentgelts in Höhe von 12.258,00 EUR abgeführt wurden.
Die Antragsgegnerin, im Folgenden Ag., führte bei der Ast. am 12. und 13. Januar 2009 eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2008 durch. Im Rahmen der Schlussbesprechung am 14. Januar 2009 teilte sie der Ast. mit, es hätten sich zunächst keine Beanstandungen und Nachberechnungen ergeben; ausgenommen sei lediglich der Bürgermeister; hierzu ergehe ein gesonderter Bescheid.
Mit Schreiben vom 7. August 2009 hörte die Ag. die Ast. zu der beabsichtigten Nachforderung von Beiträgen für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2008 in Höhe von 1.294,66 EUR (nebst Säumniszuschlägen) an. H.M. habe als ehrenamtlicher Bürgermeister der Ast. im Prüfzeitraum in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden. Ehrenamtliche Bürgermeister unterlägen der Versicherungspflicht, soweit sie eine dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugängliche Verwaltungstätigkeit und nicht nur Repräsentationsaufgaben wahrnehmen. Zu den von dem ehrenamtlichen Bürgermeister der Ast. zu erfüllenden Verwaltungsaufgaben gehörten nach den §§ 62 bis 63 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt (GO LSA) die Verantwortlichkeit für die verwaltungsmäßige Vorbereitung und Durchführung der Beschlüsse des Gemeinderates und seiner Ausschüsse, für die sachgemäße Erledigung der Aufgaben und den ordnungsgemäßen Gang der Verwaltung, die Regelung der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung, die Unterrichtung des Gemeinderates über alle wichtigen, die Gemeinde und ihre Verwaltung betreffenden Angelegenheiten, die eigenverantwortliche Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung und der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, die Regelung aller durch Gesetz übertragenen hoheitlichen, vom Gemeinderat übertragenen Aufgaben sowie die Erledigung von Personalangelegenheiten in eigener Verantwortung als Vorgesetzter/Dienstvorgesetzter, höherer Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde der Beigeordneten, Beamten und Arbeitnehmer der Gemeinde, soweit dies zur laufenden Verwaltung gehört oder durch Hauptsatzung dem Bürgermeister übertragen wurde. Der politische Charakter einer Tätigkeit schließe ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis nicht aus. Das Weisungsrecht der ehrenamtlichen Bürgermeister gegenüber der Verwaltungsgemeinschaft spiegele sich insbesondere in den Aufgaben des Gemeinschaftsausschusses nach § 79 GO LSA wieder, dessen Mitglieder die ehrenamtlichen Bürgermeister der Mitgliedsgemeinden sind. Die ehrenamtlichen Bürgermeister entschieden, soweit nicht im Einzelfall der Leiter des gemeinsamen Verwaltungsamtes zuständig sei. Sie wählten den Leiter des gemeinsamen Verwaltungsamtes, seien dessen Dienstvorgesetzte und höherer Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde aller Bediensteten des gemeinsamen Verwaltungsamtes. Die hier zu beurteilende Tätigkeit...