Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Vermögensberücksichtigung. selbst genutztes Hausgrundstück mit großer Grundstücksfläche. Darlehen wegen Unmöglichkeit der sofortigen Verwertung nur gegen dingliche Sicherheit. fehlende Sachverhaltsaufklärung und Verwertbarkeitsprüfung. Kostenentscheidung nach Veranlassungsprinzip gegenüber dem Grundsicherungsträger
Leitsatz (amtlich)
1. Eine darlehensweise Leistungsgewährung darf der SGB II-Leistungsträger nur dann von einer dinglichen Sicherung vorhandenen Grundvermögens abhängig machen, wenn feststeht, dass es sich um zu berücksichtigendes, verwertbares Vermögen handelt. Solange die Verwertbarkeit des Vermögens nicht geklärt ist, bleibt für eine dingliche Sicherung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kein Raum.
2. Provoziert der SGB II-Leistungsträger durch das Unterlassen notwendiger Ermittlungen die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtschutzes, kann dies dazu führen, dass ihm im Rahmen von § 193 SGG Kosten auferlegt werden.
Normenkette
SGG §§ 73a, 86b Abs. 2 S. 2, Abs. 4 S. 4, § 193 Abs. 1 S. 1; SGB II § 7 Abs. 1, § 9 Abs. 1, 2 S. 3, Abs. 4, § 12 Abs. 1, 3 S. 1 Nr. 4, § 24 Abs. 5 S. 1, § 34; SGB X § 20 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Tenor
Die Beschlüsse des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 27. Mai 2015 werden aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, an die Antragsteller darlehensweise Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 97,75 EUR für die Zeit vom 27. bis 30. April 2015 und in Höhe von 745,50 EUR monatlich vom 1. Mai bis zum 30. September 2015 zu zahlen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.
Den Antragstellern wird für das Verfahren erster Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. aus D. bewilligt.
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) begehren die Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Dessau-Roßlau (SG) mit dem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist.
Die Antragsteller leben in einer Bedarfsgemeinschaft in einem Eigenheim in der ...-Straße ... in R. Der Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. sind verheiratet und haben fünf minderjährige Kinder (Antragsteller zu 3.: geboren am ... 2003; Antragsteller zu 4.: geboren am ... 2005; Antragsteller zu 5.: geboren am ... 2008; Antragsteller zu 6: geboren am ... 2012; Antragsteller zu 7.: geboren am ... 2014). Sie beziehen vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsgegner) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Nach einem Grundbuchauszug des Amtsgerichts ... Blatt ... vom 19. Juli 2013 ist der Antragsteller zu 1. Eigentümer der Gebäude- und Nebenfläche in der ...straße 13 in B. Nach einem Grundbuchauszug von R. Blatt 2111 wird der Antragsteller zu 1. seit 7. April 1998 als Eigentümer des Gebäudes und einer Freifläche in der ...-Straße ausgewiesen. Auf dieses Grundstück lastet hiernach eine Grundschuld in Höhe von 60.000,00 DM.
Mit Schreiben vom 6. Februar 2014 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zu 1. auf, u.a. Lagepläne von dem Grundstück in B. vorzulegen. Der Antragsgegner errechnete auf der Grundlage des Bodenrichtwerts einen Wert des Grundstücks von 43.260,00 EUR.
Mit Bescheid vom 6. Juni 2014 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern im Wege der vorläufigen Bewilligung darlehensweise SGB II-Leistungen gemäß § 24 Abs. 5 Satz 1 SGB II. Zugleich gab er den Antragstellern u.a. auf, innerhalb des Bewilligungsabschnitts umfassende Verkaufsbemühungen der Flurstücke ... und ... in B.-W. zu dokumentieren und nachzuweisen. Am 14. Juli 2014 ging eine Erklärung des Antragstellers zu 1. vom 10. Juli 2014 beim Antragsgegner ein, in der er angab: Er habe Anfang/Mitte Juni 2014 Kontakt mit zwei Immobilienverwaltern und einem Hausverwalter aufgenommen. Hierüber habe er keine schriftliche Auskunft erhalten. Nach mündlicher Aussage der Verwalter sei das Grundstück unattraktiv und schwer verkäuflich.
Am 30. Oktober 2014 stellten die Antragsteller einen Weiterbewilligungsantrag auf Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 5. November 2014 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab und führte aus: Der Antragsteller zu 1. verfüge wegen des Grundstücks in B. über ein verwertbares Vermögen von insgesamt 45.090,00 EUR. Nach Abzug der Freibeträge in Höhe von 18.600,00 EUR bestehe keine Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft. In zwei Schreiben vom selben Tage belehrte der Antragsgegner die Antragsteller über einen Ersatzanspruch bei schuldhafter Herbeiführung der Bedürftigkeit gemäß § 34 SGB II sowie über die Möglichkeit einer darlehensweisen Gewährung der Leistungen nach dem SGB II. Sollte der sofortige Zugriff auf die berücksichtigungsfähigen Vermögenswerte unmöglich sein, könne die Leistun...