Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung von im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes in der gesetzlichen Rentenversicherung. Verfassungsmäßigkeit des § 256a Abs 4 SGB 6
Leitsatz (amtlich)
Die von § 256 Abs 3 S 1 SGB VI abweichende Bewertung der Wehrdienstzeiten im Beitrittsgebiet in § 256a Abs 4 SGB VI mit 0,75 Entgeltpunkten (Ost) gegenüber 1,0 Entgeltpunkten verstößt nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Insoweit ist auf die Gesetzesbegründung zum RÜG zu § 256a Abs 4 SGB VI zu verweisen, wonach eine Übertragung von im alten Bundesgebiet aufgrund tatsächlicher Beitragszahlung bestehenden unterschiedlichen Werten auf das Beitrittsgebiet mangels entsprechender Regelungen nicht angezeigt gewesen sei.
Tenor
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. April 2022 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Bewertung der vom Kläger vom 5. November 1980 bis zum 30. April 1982 im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) umstritten.
Die Beklagte bewilligte dem am ... 1957 geborenen Kläger ab dem 1. Juni 2021 Altersrente für besonders langjährig Versicherte (Bescheid vom 5. Mai 2021). Dabei berücksichtigte sie die Pflichtbeitragszeiten für den im Beitrittsgebiet zurückgelegten Wehrdienst ausgehend von 0,75 Entgeltpunkten für jedes volle Kalenderjahr anteilig für den Zeitraum vom 5. November 1980 bis zum 30. April 1982.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch verfolgte der Kläger die Bewertung der Grundwehrdienstzeit bei der Nationalen Volksarmee (NVA) mit 1,0 Entgeltpunkten pro Jahr entsprechend der Bewertung für denselben Zeitraum des Wehrdienstes im Gebiet der „alten Bundesrepublik“ zumindest bis zum 31. Dezember 1981.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf Bewertung der Zeit des Grundwehrdienstes im Beitrittsgebiet mit einem Entgeltpunkt bestehe nicht. Im Beitrittsgebiet seien für die Zeiten des Grundwehrdienstes von der NVA bzw. vom Staat keine Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt worden. Die Zeit des Grundwehrdienstes sei nach den Regelungen im Beitrittsgebiet eine versicherungspflichtige Tätigkeit in der Sozialversicherung der DDR gewesen, wobei die Beitragszahlung zur Sozialversicherung während dieser Zeit geruht habe. Um gleichwohl Zeiten des gesetzlichen Wehrdienstes im Beitrittsgebiet in die Rentenberechnung nach gesamtdeutschen Recht einfließen lassen zu können, sei in § 256a Abs. 4 SGB VI normiert worden, dass im Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1981 zurückgelegte Grundwehrdienstzeiten mit 0,75 Entgeltpunkten pro Kalenderjahr zu bewerten seien. Für vom 1. Mai 1961 bis zum 31. Dezember 1981 in den alten Bundesländern zurückgelegte Zeiten des gesetzlichen Wehrdienstes seien tatsächlich Beiträge vom Bund eingezahlt worden, weshalb diese Zeiten eine Bewertung mit einem Entgeltpunkt erhielten. Die hiervon abweichende Regelung des § 256a Abs. 4 SGB VI sei vom Gesetzgeber mit der tatsächlich fehlenden Beitragszahlung im Beitrittsgebiet begründet worden. Ab dem 1. Januar 1982 seien Grundwehrdienstzeiten sowohl im alten Bundesgebiet als auch im Beitrittsgebiet mit 0,75 Entgeltpunkten bzw. 0,75 Entgeltpunkten (Ost) pro Jahr zu bewerten. Dem vom Kläger gestellten Ruhensantrag sei nicht zu entsprechen gewesen, da die getroffene Entscheidung auf den einschlägigen und bisher nicht vor einem Obersten Gericht der Bundesrepublik Deutschland oder der Europäischen Union angefochtenen gesetzlichen Normen beruhe.
Hiergegen hat der Kläger am 7. Januar 2022 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben. Der Rentenbescheid der Beklagten unter Anwendung der Vorschrift des § 256a Abs. 4 SGB VI sei mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht vereinbar. Ein in seiner Person liegender Grund für die vorgenommene unterschiedliche rentenrechtliche Bewertung von Grundwehrdienstseiten zwischen dem Gebiet der „alten Bundesrepublik“ und dem Beitrittsgebiet sei für die Zeit bis einschließlich 31. Dezember 1981 nicht ersichtlich. Es möge zutreffend sein, dass derzeit noch kein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe anhängig bzw. zum Abschluss gebracht worden sei, es sei jedoch auf die anhängigen Verfahren vor dem sächsischen Landessozialgericht (LSG) unter den Aktenzeichen L 4 R 453/20; L 5 R 496/20; L 10 R 707/20 und L 10 R 14/21 zu verweisen.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass das LSG Sachsen mit den Urteilen vom 16. November 2021 in dem Verfahren L 5 R 150/21 und vom 30. November 2021 in dem Verfahren L 5 R 150/21 jeweils zugunsten des jeweiligen Rentenversicherungsträgers entschieden habe. Ein Ruhen des Verfahrens sei daher weiterhin nicht angezeigt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. April 2...