Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Impfschaden. Masernimpfung. Autoimmun-Hepatitis. ursächlicher Zusammenhang. Wahrscheinlichkeit. Ungewissheit über Entstehungsursache. Kannversorgung. Lehrmeinung. statistische Erhebungen. Forschungsdichte
Leitsatz (amtlich)
1. Da die Ursache der Autoimmunhepatitis nicht wissenschaftlich geklärt ist, kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ein nach einer Masernimpfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen auf dieses zurückzuführen ist.
2. Für die Gewährung einer Kannversorgung nach § 60 Abs 1 iVm § 61 S 2 IfSG reicht nicht die theoretische Möglichkeit eines Zusammenhangs. Es muss eine "gute Möglichkeit" bestehen, die zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner im Sinne einer Mindermeinung überzeugt. Für einen Ursachenzusammenhang zwischen einer Masernimpfung und der Autoimmunhepatitis fehlt es an einer wissenschaftlichen Lehrmeinung, die durch statistische Erhebungen untermauert ist. Arbeitshypothesen genügen nicht.
Orientierungssatz
Eine weitere Beweiserleichterung ist auch unter Berücksichtigung der Seltenheit der Erkrankung und der damit möglicherweise verbundenen geringen Forschungsdichte nicht möglich.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 17. Januar 2008 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Versorgungsansprüche des Klägers nach einer Masernschutzimpfung.
Der ... 1998 geborene Kläger erhielt am 4. September 2000 eine Impfung mit dem Masernimpfstoff Merieux. Am 4. Mai 2001 beantragten seine Eltern als gesetzliche Vertreter beim Versorgungsamt Ravensburg Versorgungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) wegen einer Autoimmunhepatitis. Nach dem Bericht des Kinderarztes S... vom 9. November 2000 hatte dieser dem Gesundheitsamt L... und dem ...-Institut einen Verdachtsfall auf eine Impfkomplikation angezeigt, da von der Mutter des Klägers Anfang Oktober Durchfall, Gelbsucht sowie dunkler Urin beobachtet worden sei. Aufgrund der am 12. Oktober 2000 durchgeführten Blutuntersuchung sei eine Einweisung in die Kinderklinik M... mit dem Verdacht auf eine Autoimmun-Hepatitis erfolgt. Nach dem Bericht des Klinikums M... vom 21. November 2000 hätten metabolische, infektiöse, toxische und medikamentöse Ursachen weitgehend ausgeschlossen werden können. Die Leberbiopsie vom 27. Oktober 2000 habe das histologische Bild einer Riesenzellhepatitis gezeigt. Die häufig bei einer Autoimmunhepatitis nachweisbaren Autoantikörper seien beim Kläger unauffällig gewesen. Auch extrahepatisch-immunologische Begleiterkrankungen hätten nicht festgestellt werden können. Weiterhin lag eine an den Kinderarzt S... gerichtete Stellungnahme des Dr. H..., Referat Arzneimittelsicherheit vom ...-Institut, vom 5. März 2001 vor. Dieser hatte ausgeführt, der kausale Zusammenhang zwischen der Impfung und der Autoimmunhepatitis werde nach den Kriterien der WHO mit “möglich„ bewertet. Bislang lägen über autoimmune Hepatitiden nach Impfungen (meist Hepatitis B-Impfung) nur Einzelfallberichte aus der wissenschaftlichen Literatur und der spontanen unerwünschten Arzneimittelwirkung (UWA-Erfassung) vor. Speziell nach Masernimpfungen sei bislang kein Fall bekannt geworden. Bei bestehender genetischer Disposition erscheine ein Triggern der autoaggressiven Reaktion durch die Masern-Impfung möglich, wenn auch nicht bewiesen. Allerdings sei im vorliegenden Fall eine infektiöse Erkrankung weitgehend ausgeschlossen worden und es habe auch keine andere Ursache der pathologischen Immunreaktion eruiert werden können. Der plausible zeitliche Zusammenhang lasse eine Verbindung zur Impfung möglich erscheinen, wobei ein Nachweis nur durch die spezifischen Immunkomplexe im Biopsat hätte erbracht werden können. Außerdem lagen dem Beklagten Arztbriefe des Dr. B... (...-Universität M., Zentrum für Kinderheilkunde) vom 16. Januar 2001 und 17. September 2001 vor. Danach sei die Diagnose einer Coombs-positiven Autoimmunhepatitis gestellt worden. Weitere hepatitisassoziierte Autoantikörper seien nicht nachweisbar gewesen. Aus bisheriger Sicht sei die Erkrankung beim Kläger therapeutisch gut kompensiert. Bezüglich eines Zusammenhangs zwischen der Masern-Impfung und der Autoimmunhepatitis hatte Dr. B... ausgeführt: Nach Rücksprache mit Dr. T... Referenzzentrum Masern des Robert-Koch-Instituts sei der Nachweis des Impfvirus nur im nativen Lebergewebe möglich, das jedoch nach Rücksprache mit Oberarzt Dr. H... vom Institut für Pathologie M... nicht vorliege. Daraufhin führte die Leitende Ärztin des Versorgungsamts R... K... in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 6. November 2001 aus: Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Hepatitis und der Masernschutzimpfung reiche für eine positive Kausalitätsbeurteilung nicht aus. Diese könne ausschließlich durch den Nachweis spezifischer Immunkomplexe im Leberbiopsat erbracht werden. Auf Nachfrage des Versorg...