"Hoher" Beweiswert einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?
Das BAG führt in ständiger Rechtsprechung zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wie folgt aus:
"Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Ihr kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt".
Das BAG hat erneut die Diskussion angeregt, welcher Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zukommt und was und wie viel ein Arbeitgeber vortragen muss, der ihr diesen Beweiswert abspricht. Kritisch zu hinterfragen ist, worauf sich der von der Rechtsprechung angenommene "hohe Beweiswert" der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ergibt.
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist eine Privaturkunde (§ 416 ZPO), der per se kein höherer Beweiswert zukommt als jeder anderen Urkunde. Normativ entscheidende Bedeutung kommt ihr dennoch zu, weil mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Arbeitgeber das Leistungsverweigerungsrecht nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG verliert und nun Entgeltfortzahlung an den Arbeitnehmer leisten muss. Das muss aber nicht mit einem "hohen" Beweiswert begründet werden, sondern ist Konsequenz der gesetzlichen Regelungen. Diese Rechtsfolge kann der Arbeitgeber nur dadurch verhindern, dass er Umstände vorträgt, die es als möglich erscheinen lassen, dass der Inhalt der vorgelegten Urkunde – der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – nicht zutreffend wiedergegeben ist oder anders ausgedrückt: Dass der bescheinigte arbeitsunfähige Zustand des Arbeitnehmers seinen tatsächlichen Zustand nicht zutreffend wiedergegeben hat. Damit wird die materielle Beweiskraft der Urkunde in Frage gestellt, für die im gerichtlichen Verfahren § 286 ZPO gilt. Die formelle Beweiskraft, die von § 440 ZPO erfasst wird, ist damit nicht betroffen: Sie erfasst allein die Frage, ob die in der Urkunde enthaltende Erklärung vom Aussteller abgegeben ist (§ 416 ZPO). Dass der Arzt eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hat, wird aber in den wenigsten Fällen streitig sein. Streitig ist hingegen, ob er zutreffende Feststellungen getroffen hat. Um die nach § 286 ZPO erforderliche Würdigung vornehmen zu können, muss der Arbeitgeber deshalb zunächst tatsächliche Umstände vortragen, die einen Widerspruch zu der in der Urkunde niedergelegten Erklärung – Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers – für möglich erscheinen lassen. Insofern ist der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zuzustimmen, auch wenn der angenommene "hohe" Beweiswert der Bescheinigung kritisch zu wür...