Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Bindung an die örtliche Zuständigkeit bei Auswahl eines Amtsvormunds
Leitsatz (amtlich)
1. Einem ausgewählten Vormund steht ein Beschwerderecht gegen seine Auswahl und Bestellung zu, weil er hierdurch in seinen Rechten betroffen ist. (Rn. 9)
2. Jedenfalls bei einer Neuentscheidung über die Vormundschaft nach einem Aufenthaltswechsel des Kindes besteht eine zwingende Bindung an die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter nicht; diese ist allerdings iRd Ermessensausübung zu berücksichtigen. (Rn. 17)
Normenkette
BGB §§ 1779, 1791b; FamFG § 59 Abs. 1; SGB VIII § 88a
Verfahrensgang
AG Rosenheim (Beschluss vom 29.10.2020; Aktenzeichen 50 F 1657/20) |
AG Rosenheim (Beschluss vom 29.10.2020; Aktenzeichen 50 F 1659/20) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Beschwerden gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Rosenheim vom 29.10.2020 in den Verfahren 50 F 108/20 und 50 F 109/20 werden zurückgewiesen.
2. Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.000 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Beschwerden des Jugendamts F. vom 14.12.2020 im Verfahren 50 F 109/20 betreffend M.M., geb. am ... 2003, und vom 15.12.2020 im Verfahren 50 F 108/20 betreffend M. J., geb. am ...2013, richten sich gegen die Entlassung des Landratsamts R. als Amtsvormund und die Übertragung der Vormundschaft auf das Jugendamt F.
I. Nach Aktenlage wurden die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge M. und J. am 20.09.2020 im Landkreis R. aufgegriffen. Nicht eindeutig geklärt war deren Verwandtschaft. So wurden sie zunächst als Brüder, später als Onkel und Neffe bezeichnet. In der vom Senat durchgeführten Anhörung haben sie bestätigt Onkel und Neffe zu sein. Beide Minderjährige wurden von der Durchführung des Verteilungsverfahrens gemäß § 42b SGB VIII ausgeschlossen, da sich Verwandte in Deutschland befinden und eine Familienzusammenführung angebahnt werden soll.
Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rosenheim vom 12.10.2020 wurde in beiden Verfahren Vormundschaft angeordnet und das Kreisjugendamt R. als Vormund ausgewählt. Mit Schriftsatz vom 26.10.2020 an das Amtsgericht Rosenheim teilte das Kreisjugendamt R. mit, dass beide Mündel vom 22.09. bis 24.09.2020 abgängig waren und seit 24.09.2020 in H. wohnen. Aus diesem Grund werde gebeten, einen Vormund im Landkreis F. zu bestimmen.
In beiden Verfahren wurde daraufhin jeweils mit Beschluss vom 29.10.2020 das Kreisjugendamt R. als Vormund entlassen und das Amt für Jugend und Familie in F. als Vormund bestimmt, da das Kreisjugendamt R. aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts in H. gem. § 87c Abs. 3 SGB VIII nicht mehr zuständig sei. Vom Verteilungsverfahren gem. § 42b SGB VIII seien die Mündel ausgenommen worden.
Das gerichtliche Verfahren wurde aufgrund des gewöhnlichen Aufenthalts der Mündel in H. im Einvernehmen mit dem Amtsgericht Freising in der Folge gemäß § 4 FamFG an dieses Gericht abgegeben.
Mit den Schriftsätzen vom 14. bzw. 15.12.2020, beim Amtsgericht Freising jeweils eingegangen am gleichen Tag, legte das Amt für Jugend und Familie F. Beschwerde gegen die ihm am 17.11.2020 zugegangenen Beschlüsse vom 29.10.2020 in beiden Verfahren ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit gemäß § 87c Abs. 3 SGB VIII nicht hätte erfolgen dürfen, da es sich um minderjährige unbegleitete Flüchtlinge handele, bei denen sich die örtliche Zuständigkeit nach § 88a Abs. 4 SGB VIII richte. Der Aufenthalt im Landkreis F. sei nicht von Dauer, da es sich bei dem derzeitigen Aufenthalt im J. B. lediglich um eine Clearingmaßnahme handele und zudem eine Familienzusammenführung mit Verwandten im Raum Stuttgart und Saarbrücken erfolgen solle.
Das Kreisjugendamt R. beantragte, die angegriffenen Beschlüsse aufrecht zu erhalten. Auch wenn der Aufenthalt in der Einrichtung B. nicht auf Dauer angelegt sei, bestehe er fort, bis die Frage einer Familienzusammenführung abgeklärt sei. Wegen der großen Entfernung zu der aktuellen Einrichtung entspreche die Führung der Vormundschaft durch das Kreisjugendamt R. zudem nicht dem Wohl der Kinder. Hinzu komme, dass bis dato kein persönlicher Kontakt zu einem Amtsvormund des Kreisjugendamts R. bestand, während die Kinder die Amtsvormünder des Amts für Jugend und Familie F. im Rahmen der Hilfeplanung bereits persönlich kennengelernt hätten.
Am 24.03.2021 hat der Senat beide Mündel persönlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Vermerk vom 24.03.2021 Bezug genommen. Die Jugendämter R. und F. erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.
II. Die Beschwerden sind gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere steht einem ausgewählten Vormund ein Beschwerderecht gemäß § 59 Abs. 1 BGB gegen seine Auswahl und Bestellung als Vormund zu, weil er hierdurch in seinen Rechten betroffen ist (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Auflage 2020, §...