Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. gewöhnlicher Aufenthalt. Leistungsausschluss für Ausländer. keine Anwendung auf den mit einer Deutschen verheirateten ausländischen Drittstaatsangehörigen. Erwerbsfähigkeit. Schwerpunkt der Lebensverhältnisse. Aufenthaltsrecht. Asylbewerber. Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung. Einstweilige Anordnung. Anordnungsgrund. Nachholbedarf
Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts gem § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2 ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen. Bei einem Ausländer kommt es darauf an, ob der örtliche Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist (vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R = BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34). Ein zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal im Sinne eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem AufenthG (juris: AufenthG 2004) sieht die Norm nicht vor.
2. Ein Ausschluss von Leistungen nach dem SGB 2 für mit Deutschen verheiratete Ausländer folgt nicht aus § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2, weil sie von der Norm nicht erfasst werden (vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 37/12 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 33).
3. Ein Leistungsausschluss ergibt sich auch nicht aus § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2, weil sich das Aufenthaltsrecht dieses Personenkreises nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 37/12 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 33).
4. Zur Erwerbsfähigkeit eines mit einer Deutschen verheirateten Ausländers iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 2.
5. Zum Leistungsanspruch nach § 7 Abs 2 S 1 SGB 2 eines mit einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Bedarfsgemeinschaft lebenden Ausländers.
Normenkette
SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2, 4, S. 2, Abs. 2 S. 1, § 8 Abs. 2; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; AufenthG § 28 Abs. 1, 5; SGG § 86b Abs. 2 S. 2
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 4. August 2014 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 23. September 2014 bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis 31. Oktober 2014, i.H.v. 468,00 € monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das Antrags- und das Beschwerdeverfahren zu einem Drittel.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 01.07.2014.
Der 1981 geborene Antragsteller ist jordanischer Staatsangehöriger. Er ist im Besitz einer Aufenthaltsgestattung.
Am 07.06.2014 heiratete er die deutsche Staatsangehörige A… L… (A. L.) und zog in deren Wohnung in der D… in K…. Die Grundmiete der Wohnung beträgt 180,00 € monatlich, die Nebenkosten 10,00 € monatlich und die Heizkosten 170,00 € monatlich.
Der Antragsgegner bewilligte A. L. und deren Kindern mit Bescheid vom 17.04.2014 in der Gestalt des Bescheides vom 15.07.2014 und des Bescheides vom 17.07.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 01.05.2014 bis 31.07.2014 i.H.v. 922,92 € monatlich und für den Zeitraum vom 01.08.2014 bis 31.10.2014 i.H.v. 969,00 € monatlich vorläufig.
Am 10.06.2014 teilte A. L. die Heirat dem Antragsgegner mit. Eine Bewilligung von Leistungen zugunsten des Antragstellers erfolgte bisher nicht.
Der Landkreis Vogtlandkreis stellte mit Bescheid vom 17.06.2014 die bisher an den Antragsteller erfolgte Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zum 01.07.2014 ein.
Mit dem am 01.07.2014 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) eingegangenen Antrag hat der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sein auf vorläufige Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gerichtetes Begehren weiter verfolgt. Die Prüfung, ob er nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II von Leistungen ausgeschlossen sei, erübrige sich, da selbst Asylbewerber, die Unionsbürgerinnen geheiratet haben, nicht vom Ausschluss erfasst seien, denn ihnen stehe ein EU-Aufenthaltsrecht als Familienangehörige zu. Er sei auch kein Asylberechtigter mehr. Das ursprünglich durchgeführte Asylverfahren sei nicht weiter betrieben worden. Auch das Verwaltungsgericht Chemnitz (VG) sei der Ansicht gewesen, dass aufgrund der Heirat nunmehr ein Aufenthaltsrecht bestehe. Eine Aufenthaltsgenehmigung müsse zwingend nach § 28 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erteilt werden. Die Voraussetzungen nach § 8 Abs. 2 SGB II lägen ebenfalls vor. Darüber hinaus sei er als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft sekundär leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 2 SGB II. Der Antragsteller erhalte keinerlei Leistungen von seinem Bruder.
Der Antragsgegner hat geäußert, es sei bereits kein Anordnungsgrund gegeb...