Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Unterbringung in Justizvollzugsanstalt bzw stationärer Einrichtung. keine Zusammenrechnung der Zeiten in Strafhaft und Therapieeinrichtung
Leitsatz (amtlich)
Die Zeit der Unterbringung in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung iSd § 7 Abs 4 S 2 SGB 2 ist gesondert zu betrachten und nicht mit der Zeit eines Aufenthalts in einer Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation, für die die Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückgestellt wurde, zusammenzurechnen.
Tenor
I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dresden vom 22. März 2012 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten auch im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit des Aufenthalts der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragstellerin) in der Reha-Klinik H… in G….
Die 1982 geborene Antragstellerin wurde mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 22.09.2010 zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten und einem Jahr und drei Monaten verurteilt. In diesem Zusammenhang saß sie von 24.11.2010 bis 29.12.2011 in der Justizvollzugsanstalt C… (JVA) ein. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Erfurt vom 16.12.2011 (Bl. 18 der LA) wurde die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafen mit Zustimmung des Gerichts gemäß § 35 Abs. 1 und Abs. 3 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) für die Behandlung in der Reha-Klinik H… Go… ab dem Betreten der Therapieeinrichtung am 29.12.2011 für die Dauer von längstens zwei Jahren zurückgestellt. Die nachgewiesene Zeit des Aufenthalts in der staatlich anerkannten Therapieeinrichtung werde gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG auf die Strafe von einem Jahr und sechs Monaten angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt seien.
Am 29.12.2011 wurde die Antragstellerin zur stationären Langzeitentwöhnung in der Reha-Klinik G… aufgenommen; die Regeltherapiedauer betrage 24 Wochen und könne ggf. verlängert werden. Entsprechende Leistungen der medizinischen Rehabilitation hatte der Rentenversicherungsträger mit Bescheid vom 04.10.2011 bewilligt.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsgegner) lehnte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II mit Bescheid vom 06.02.2012 unter Bezugnahme auf § 7 Abs. 4 SGB II ab, weil die Antragstellerin bereits ab dem 24.11.2010 in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht gewesen und ab 29.11.2011 in einer stationären Einrichtung untergebracht sei, dieses voraussichtlich länger als sechs Monate bleibe oder in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung untergebracht werde. Die Ausnahmeregelung gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II sei nicht anzuwenden. Dagegen wandte sich die Antragstellerin mit ihrem Widerspruch, weil die Unterbringung in der Reha-Klinik die Frist von sechs Monaten unterschreite und es nicht zulässig sei, die Haftstrafe mit dem Reha-Aufenthalt zusammenzufassen.
Am 24.02.2012 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Dresden die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt mit dem Ziel, den Antragsgegner zu verpflichten, ab Antragstellung vorläufig die Regelleistung in Höhe von monatlich 374,00 EUR zu bewilligen. Das ihr bei Haftentlassung ausbezahlte Geld habe sie inzwischen verbraucht, da sie sich habe neu einkleiden müssen. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Prozessbevollmächtigte mitgeteilt, dass kein Antrag beim Kommunalen Sozialverband gestellt worden sei, weil die Antragstellerin vor der Haft ihren Wohnsitz in Thüringen gehabt habe. Sie sei Notfallpatientin, da sie bereits zwei Risikoschwangerschaften gehabt habe und nunmehr wieder ein Kind erwarte. Sie ist am 27.02.2012 und am 10.03.2012 Ärzten vorgestellt worden, die ihr - da kein Krankenversicherungsschutz besteht - ihre Leistungen in Rechnung gestellt haben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.02.2012 hat der Antragsgegner den Widerspruch gegen den Bescheid vom 06.02.2012 über die Ablehnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Klage ist beim Sozialgericht Dresden unter dem Az. S 23 AS 1708/12 anhängig.
Mit Beschluss vom 22.03.2012 hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab dem 23.02.2012 längstens bis zum 15.06.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 374,00 EUR zu gewähren. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nach § 7 SGB II lägen vor. Insbesondere sei die Antragstellerin erwerbsfähig und es liege keine gesetzlich fingierte Erwerbsunfähigkeit nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II vor. Der Aufenthalt in der Reha-Klinik könne nicht deswegen als Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordn...