Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Diabetes mellitus, Hypertonie, Hyperlipidämie. Empfehlungen des Deutschen Vereins, Begutachtungsleitfaden und Ernährungsempfehlungen für Diabetiker. rückwirkende Anwendung der Empfehlungen des Deutschen Vereins auch vor dem 1.10.2008
Leitsatz (amtlich)
Weder nach den überarbeiteten "Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen", noch nach dem "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung der Ärzte des öffentlichen Gesundheitswesens Westfalen/Lippe", noch nach den "Ernährungsempfehlungen für Diabetiker" lässt sich eine krankheitsbedingte kostenaufwändigere Ernährung bei Diabetes mellitus, Hypertonie, Hyperlipidämie mehr begründen. Es bestehen auch keine Bedenken, die im Oktober 2008 herausgekommenen Empfehlungen des Deutschen Vereins für einen davor liegenden Zeitraum im Jahr 2007 anzuwenden.
Orientierungssatz
Bei dem Begriff der "angemessenen Höhe" des Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB 2 handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 2).
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 14.09.2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung für beide Kläger im Zeitraum zwischen dem 01.05. und dem 31.10.2007.
Der 1956 geborene Kläger zu 1) leidet an einer Bluthochdruckerkrankung (Hypertonie) und einer Fettstoffwechselstörung (Hyperlipidämie). Bei der 1957 geborenen Ehefrau des Klägers zu 1), hier der Klägerin zu 2), besteht eine Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), eine Bluthochdruckerkrankung und eine Fettstoffwechselstörung. Beide Kläger stehen im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Mit Bewilligungsbescheid vom 19.04.2007 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.05. bis 31.10.2007 in Höhe von insgesamt 1.214,61 EUR.
Die Kläger beantragten am 27.02.2007 beide die Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung. Ihrem Antrag fügten beide Kläger jeweils eine ärztliche Bescheinigung ihrer Hausärztin Dr. D1 bei, welche dem Kläger zu 1) die Fettstoffwechselstörung sowie den Bluthochdruck bescheinigte und für die Zeit vom 01.03. bis 31.12.2007 Krankenkost für erforderlich und ärztlich verordnet angegeben wurde, da die Erkrankung chronisch sei und der Dauerbehandlung bedürfe. Von Frau Dr. K1 , Fachärztin für Innere Medizin/Diabetologin wurde der Klägerin zu 2) die Hypertonie sowie der insulinpflichtige Diabetes mellitus bescheinigt, weswegen die Klägerin zu 2) Medikamente einnehmen müsse und eine Heilung nicht zu erwarten sei, bis auf Weiteres.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes ein, wonach für beide Kläger keine Mehrkosten entstünden. Beim Kläger zu 1) sei für die Bluthochdruckerkrankung der Verzicht auf Zusalzen und das Vermeiden besonders salzreicher Speisen notwendig. Bei der Fettstoffwechselstörung sei entsprechend des aktuellen Begutachtungsleitfadens für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 30 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) eine fettsenkende Kost erforderlich, d.h. es sollte eine deutliche Verminderung des Verzehrs von vor allem tierischen Fetten erfolgen. Auch für die Klägerin zu 2) wurde entsprechend des aktuellen Begutachtungsleitfadens ein Mehrbedarf krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung bei der Bluthochdruckerkrankung mit derselben Begründung wie beim Kläger zu 1) abgelehnt. Dasselbe gelte für die Fettstoffwechselstörung der Klägerin zu 2). Auch im Zusammenhang mit dem Diabetes mellitus entstünden keine krankheitsbedingten Mehrkosten. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge aus dem Jahr 1997 seien zum größten Teil überholt und nicht auf neuestem wissenschaftlichem Stand.
Mit Bescheid vom 08.05.2007 lehnte die Beklagte die Gewährung von krankheitsbedingten Mehraufwendungen für beide Kläger im Zeitraum zwischen dem 01.05. und 31.10.2007 ab. Sie stützte sich hierbei im Wesentlichen auf die Begründung ihrer Amtsärztin vom 26.04.2007, wonach keine krankheitsbedingten Mehrkosten bei den Klägern anfielen.
Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2007 als unbegründet zurück.
Hiergegen haben die Kläger am 19.06.2007 beim Sozialgericht Chemnitz (SG) Klage erhoben.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 14.09.2007 der Klage beider Kläger auf Zahlung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs ab dem 01.03.2007 stattgegeben.
Die ...