Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistung. Überprüfungsverfahren. Leistungsberechtigung nach § 1 Abs 1 Nr 3 AsylbLG bei Ausübung der elterlichen Sorge über ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit. Analogleistung. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer. Verfassungsmäßigkeit eines dauerhaften Ausschlusses. Nachzahlung von Leistungen. Nachweis der Hilfebedürftigkeit bis zur letzten Tatsacheninstanz. Erlöschen des Anspruchs bei Ausreise aus dem Bundesgebiet

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es erscheint im Hinblick auf die Verpflichtung zur Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 GG in Verbindung mit Art 20 GG verfassungsrechtlich bedenklich, einen Asylbewerber, der seine Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat, unbegrenzt von sogenannten "Analogleistungen" nach § 2 AsylbLG auszuschließen.

2. In dieser Hinsicht zweifelhaft erscheint ebenfalls, solche Asylbewerber in das AsylbLG einzubeziehen, denen ein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs 5 AufenthG (juris: AufenthG 2004) erteilt worden ist, weil sie die elterliche Sorge über ein Kind ausüben, das die deutsche Staatsangehörigkeit innehat.

3. Im Zugunstenverfahren ist die Hilfebedürftigkeit durchgängig bis zur letzten Tatsacheninstanz nachzuweisen.

4. Verlässt der Asylbewerber das Bundesgebiet, erlöschen mögliche Ansprüche nach dem AsylbLG.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.06.2021; Aktenzeichen B 7 AY 2/20 R)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 6. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1966 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 9. Dezember 2003 illegal in das Bundesgebiet ein. Am Tag darauf, am 10. Dezember 2003, beantragte er beim damaligen Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt), ihm Asyl zu gewähren. Für das Verfahren verwendete er einen falschen Namen und gab einen unrichtigen Geburtsort an. Zur Durchführung des Asylverfahrens erhielt er eine Aufenthaltsgestattung. Durch die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) wurde der Kläger der Beklagten zugewiesen (Bescheid vom 12. Januar 2004), die ihm vom 14. Januar 2004 an Grundleistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gewährte.

Während seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 12. Januar 2004 hatte der Kläger erläutert, verheiratet zu sein und mit seiner Ehefrau für fünf gemeinsame minderjährige Kinder gesorgt zu haben. In seinem Dorf sei er der größte Landbesitzer gewesen und habe Arbeiter beschäftigt. Da er eine bestimmte politische Partei nicht unterstützen wollte, sei er von der Polizei verfolgt worden, weshalb er Pakistan verlassen habe, um sich in Europa in Sicherheit eine neue Existenz aufzubauen. Unterdessen bewirtschafte seine Ehefrau die landwirtschaftlichen Flächen während seiner Abwesenheit. Das Bundesamt lehnte den Asylantrag des Klägers ab (Bescheid vom 15. April 2004). Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen. Ansonsten werde er nach Pakistan abgeschoben. Die daraufhin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht L…. ab (Urteil vom 22. März 2005 - A 7 K 30300/04). Die Rechtskraft trat am 2. Juni 2005 ein. Die Abschiebungsandrohung war vollziehbar seit dem 4. Juli 2005. Der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet wurde fortan geduldet, weil er nicht über die zur Rückreise notwendigen Identitätspapiere verfügte.

Mit Schreiben vom 6. November 2007 informierte die örtliche Ausländerbehörde darüber, dass der Kläger bei der Passbeschaffung nicht mitgewirkt habe. Die entsprechende Aufforderung erfolgte seitens der ZAB mit Bescheid vom 2. September 2005. Auf die Mahnschreiben vom 17. Oktober 2006 und vom 12. September 2007 reagierte der Kläger nicht. Deshalb verfügte die Beklagte die Ausweisung des Klägers mit Bescheid vom 10. Januar 2008. Weil er an einer Lungentuberkulose erkrankte, wurde der Kläger am 26. Februar 2008 im Fachkrankenhaus C.... stationär behandelt bis zum 18. März 2008. In der Folge waren häufiger Notfalleinsätze wegen Luftnot aufgrund asthmatischer Beschwerden zu verzeichnen.

Am 10. August 2009 wurde die Tochter des Klägers geboren. Sie verfügt über die deutsche Staatsangehörigkeit, da ihre Mutter Deutsche ist. Mutter und Tochter bezogen sodann Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seine Vaterschaft hatte der Kläger bereits am 20. Januar 2009 gegenüber der Beklagten anerkannt. Am 17. März 2009 beantragte er sodann, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Daraufhin forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 23. März 2009 nochmals dazu auf, bei der Passbeschaffung mitzuwirken. Schließlich teilte die örtliche Ausländerbehörde mit Schreiben vom 6. Oktober 2009 mit, dass der Kläger seine Identität nunmehr durch Vorlage des am 29. September 2009 ausgestellten Reisepasses ...

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