Rz. 1
Das Achte Kapitel enthält die Mitwirkungspflichten in Form von Anzeige-, Melde-, Auskunfts- und Bescheinigungspflichten der am Leistungsverfahren nach dem SGB II Beteiligten sowie Dritter, deren Aktivitäten Einfluss auf die Leistungserbringung nach dem SGB II haben können. Bei den Mitwirkungspflichten der Leistungsberechtigten handelt es sich um Obliegenheiten. Die allgemeinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I sind ergänzend anwendbar, soweit im Achten Kapitel keine Spezialregelungen getroffen werden (BSG, Urteil v. 19.2.2009, B 4 AS 10/08 R, SGb 2009 S. 222). Die Grundsicherungsstelle muss sich von vornherein entscheiden, ob sie nach den §§ 56 ff. oder den §§ 60 ff. SGB I vorgeht. Nur wenn eine Obliegenheit nach den §§ 60 ff. SGB I verletzt wurde und der Leistungsberechtigte durch Rechtsfolgenbelehrung auf die möglichen Rechtsfolgen nach § 66 SGB I hingewiesen worden ist, können die Leistungen versagt oder entzogen werden.
Verstöße gegen die Mitwirkungspflichten können nach Maßgabe des § 63 als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Rz. 2
Die Vorschriften sind an die Regelungen im SGB III angelehnt und entsprechen diesen weitgehend wörtlich. Sie präzisieren für die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten die schon allgemein nach den §§ 60 ff. SGB I normierten Mitwirkungspflichten.
Rz. 3
Mitwirkungspflichten dienen in der Hauptsache dazu, ein möglichst ökonomisches Verwaltungsverfahren zu ermöglichen und damit dazu beizutragen, dass die in § 17 SGB I normierten Ziele, den Zugang zu den Sozialleistungen einfach und zügig für die Antragsteller zu gestalten, zu Beginn und im Verlauf von Leistungsverfahren realisiert werden können. Zugleich soll den Grundsicherungsstellen die Sachverhaltsaufklärung erleichtert werden.
Rz. 4
Mitwirkungspflichten werden oft zum Anlass genommen, direkt oder indirekt auch die Leistungsträger in die Pflicht zu nehmen. Wird z. B. eine Bescheinigungspflicht vorgeschrieben, für die ein behördlicher Vordruck zu nutzen ist, geht damit die Verpflichtung der Behörde einher, einen solchen Vordruck zu entwickeln, zu vervielfältigen und verbreiten zu lassen. Dabei ist Kundenorientierung geboten. Dies setzt z. B. ausführliche, leicht verständliche und anschauliche Ausfüllhinweise ebenso voraus wie eine professionelle Gestaltung des Vordrucks überhaupt. Diese Verfahren werden allerdings zunehmend durch Online-Verfahren ersetzt, die auch für Bescheinigungszwecke genutzt werden können.
Rz. 5
Die normierten Mitwirkungspflichten haben aber nicht nur Steuerungsfunktion für das Verwaltungsverfahren. In einer Massenverwaltung wie der Grundsicherung für Arbeitsuchende bedeutet jede gesetzliche Normierung einer Pflicht einen kostenintensiven Verwaltungsaufwand, um den heftig gestritten wird. Das zeigt sich z. B. bei der Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit, die für die Grundsicherungsleistungen ohne Auswirkungen bleibt. Sie ist weder zur Feststellung eines Zeitraums für eine etwaige Leistungsfortzahlung erforderlich noch zur Abgrenzung von Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung notwendig, weil sie nicht Anspruchsvoraussetzung ist. Letztlich ist diese Bescheinigung nur Hilfsmittel im Zusammenhang mit der Feststellung der Voraussetzungen für den Eintritt von Sanktionen. Daher ist nachvollziehbar, dass die Krankenkassen die Ziel-Mittel- und Aufwand-Ertrag-Relationen in Zweifel ziehen. Ohne die Pflicht zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könnten sich die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten jederzeit unter Berufung auf eine Erkrankung ihrer Pflichten im Rahmen des Forderns entledigen.
Allerdings ist es nicht geboten, Personen zur Vorlage dieser Bescheinigungen anzuhalten oder zu verpflichten, die entweder nicht erwerbsfähig sind (z. B. Leistungsberechtigte unter 15 Jahren) oder nicht in den Eingliederungsprozess einbezogen werden, denen also (noch) keine Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gewährt werden (z. B. Schüler). Dem trägt § 56 seit dem 1.8.2016 Rechnung. Die Anzeige von Arbeitsunfähigkeit und die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung ist seither Gegenstand der Eingliederungsvereinbarung. Ein Verstoß gegen die Anzeige- und Bescheinigungspflicht ist nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht sanktionsbewehrt i. S. d. § 31. Abs. 1. Schätzungen zufolge fallen in den Jobcentern dadurch rd. 1 Mio. Bescheinigungen jährlich weniger an, die von den Jobcentern administriert werden müssten. Das stellt den Beitrag des 9. SGB II-ÄndG zur Rechtsvereinfachung in Kapitel 8 dar.
Rz. 6
Die Grundsicherungsstellen können bei Zweifeln an einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit eine Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen veranlassen. Dieses neue Instrument zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch kann nicht wirksam sein, weil es einen zu langen Zeitbedarf erfordert, bis es zu einer Begutachtung tatsächlich kommt. Das liegt schon daran, dass zunächst die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die typischerweise nur aufgrun...