Rz. 395
Auch Schulden gegenüber einem Dritten, die der Leistungsberechtigte nach Antragstellung im Jobcenter eingegangen ist, um drohende Wohnungslosigkeit abzuwenden, können Schulden i. S. d. Abs. 8 sein. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Dazu ist auf den Rechtsgedanken zurückzugreifen, dass eine Pflicht zur Kostenerstattung bei nicht rechtzeitiger oder zu Unrecht verweigerter Sachleistung besteht. Ein solcher Sachverhalt kann vorliegen, wenn der Leistungsberechtigte ein Darlehen aufnimmt, um Mietschulden zur Abwehr von Wohnungslosigkeit zu begleichen, weil das Jobcenter nicht rechtzeitig über den Antrag zur Schuldenübernahme entschieden hat (BSG, Urteil v. 17.6.2010, B 14 AS 58/09 R).
Rz. 395a
Eine vergleichbare Notlage liegt immer dann vor, wenn die Unterkunft nicht mehr angemessen bewohnt werden kann, z. B. durch Abschaltung der Energieversorgung, oder das Existenzminimum in Form persönlicher Menschenwürde berührt wird. Dann gilt die Lebensführung des Leistungsberechtigten als in so schwerwiegender Weise beeinträchtigt, dass staatliche Hilfe angezeigt ist. Das gilt insbesondere bei faktischer Unbenutzbarkeit der Wohnung, auch wenn diese nur droht. Allerdings genügt dafür nicht schon der Hinweis des Energielieferanten auf seine Berechtigung zur Einstellung der Lieferung, vielmehr die, die kurzfristige Sperrung konkret anzukündigen, falls die Schulden nicht beglichen werden. In diesem Rahmen ist die Übernahme jeglicher Schulden, z. B. auch Spielschulden, denkbar. Zur Ausübung von Ermessen bei Energieschulden durch das Jobcenter und das Gericht im Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 31.8.2011, L 5 AS 328/11 B ER. Zu unterscheiden sind aber Leistungen nach § 22 Abs. 8 und § 24 Abs. 1. Stromnachzahlungen sind aus der Regelleistung zu bestreiten, die Grundsicherungsstelle kann ggf. ein Darlehen gewähren (§ 24 Abs. 1). Dasselbe gilt für Stromschulden, wenn der Bedarf unabweisbar ist und nicht auf andere Weise gedeckt werden kann, solange wegen der Stromschulden keine Sperrung der Stromversorgung droht. Im Übrigen ist § 24 Abs. 1 dann nicht mehr anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 8 erfüllt sind.
Rz. 395b
Eine Energiesperre ist stets einer Notlage bei Obdachlosigkeit vergleichbar. Das gilt sowohl in Bezug auf die Stromzufuhr für die Beleuchtung und den Betrieb elektrischer Geräte wie auch bei Gas für Kochfeuerung und Heizung. Eine erfolgte Gassperre steht einem Verlust der Wohnung gleich (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 11.1.2018, L 18 AS 2586/17 u. a.). Der Sicherung einer ausreichend beheizbaren Wohnung kommt – gerade im Winter – aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz ein überragender Stellenwert zu. Das gilt erst recht, wenn kleine Kinder betroffen sind. In die Ermessensentscheidung des Jobcenters gehen alle Umstände des Einzelfalls in einer Gesamtschau ein, z. B. die Ursachen für die Rückstände und ihre Höhe, der betroffene Personenkreis (z. B. minderjährige Kinder), das gezeigte Verhalten, insbesondere auch genutzte Selbsthilfemöglichkeiten. Eine vorsätzliche Herbeiführung der Notlage stellt ein sozialwidriges Verhalten dar, das schließt eine Schuldenübernahme aus (vgl. 3.11.6.2). Jedenfalls bei einer über einen langen Zeitraum andauernden Sperrung der Stromversorgung liegt i. d. R. eine der drohenden Wohnungslosigkeit vergleichbare Situation vor (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 13.2.2012, L 2 AS 477/11 B ER).
Rz. 395c
Die Unmöglichkeit der Nutzung von Haushaltsenergie wirkt sich unmittelbar auf die Wohnsituation aus. Leistungsberechtigte dürfen nicht auf Kerzen, Campingkocher u. a. verwiesen werden, durch deren Einsatz ein Erhalt des Überlebens unter widrigen Bedingungen gewährleistet wird. Die Gewährung eines Schulden ausgleichenden Darlehens darf das Jobcenter dann nur in atypischen Fällen ablehnen (so auch SG Berlin, Beschluss v. 29.12.2015, S 37 AS 26006/15 ER). Nach vollzogener Energiesperre helfe ein Wechsel des Energieversorgers nicht, die StromnetzzugangsVO gebe keinen Anspruch auf Wiederherstellung der Versorgung. Zur Leistungsverweigerung bedarf es einer zurechenbar missbräuchlichen Herbeiführung der Notlage durch bewusste Nichtzahlung im Vertrauen auf einen Ausgleich durch das Jobcenter. Auch das LSG Rheinland-Pfalz sieht keine Rechtfertigung für die Übernahme von Stromschulden, wenn deren Entstehung rechtsmissbräuchlich in Kauf genommen wurde (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 5.9.2013, S 14 AS 724/13, vgl. auch SG Karlsruhe, Urteil v. 22.12.2015, S 17 AS 3817/14). Längere Zeit ohne Stromversorgung indiziert nicht, dass der Leistungsberechtigte ohne Strom auskommen kann. Die Rechtsprechung hat angenommen, dass nach einer Zeit von 1,5 Jahren ohne Stromversorgung faktisch ein Zustand eingetreten ist, der einer Unbewohnbarkeit der Wohnung gleichkommt. Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen muss das Jobcenter dem Leistungsberechtigten auch dann bei der Tilgung von Schulden f...