Rz. 398
Droht Wohnungslosigkeit einzutreten, gibt der Gesetzgeber der Grundsicherungsstelle vor, dass Leistungen erbracht werden sollen, also nur in atypischen Fällen die Übernahme von Schulden verweigert werden kann. Das wird nur in Missbrauchsfällen der Fall sein können. Ein solches Verhalten liegt vor, wenn der Leistungsberechtigte im Vertrauen auf die darlehensweise Übernahme durch das Jobcenter Mietzahlungen bewusst nicht leistet oder auf eine Übernahme spekuliert. Das SG Wiesbaden fordert ein zielgerichtetes Verhalten zulasten des Jobcenters (SG Wiesbaden, Beschluss v. 15.11.2014 S 5 AS 834/14 ER). Im Übrigen ist nach pflichtgemäßem Ermessen über die Erbringung von Leistungen zur Sicherung der Unterkunft zu entscheiden.
Rz. 398a
Bei Energieschulden ist das LSG Nordrhein-Westfalen der Auffassung, dass der Grundsicherungsträger im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Gewährung eines Darlehens in Höhe der aufgelaufenen Energieschulden zu verpflichten ist, wenn für einen absichtlichen Leistungsmissbrauch des Leistungsberechtigten keine Anhaltspunkte bestehen und dieser glaubhaft machen kann, dass andere Möglichkeiten für die zukünftige Sicherstellung der Versorgung mit Strom außer der Inanspruchnahme eines Darlehens nach Abs. 8 nicht bestehen. Bei Nebenkostennachforderungen bestehen keine Schulden i. S. v. Abs. 8, wenn der Leistungsberechtigte trotz bereitgestellter Leistungen Vorauszahlungen ganz oder teilweise nicht leistet und die Nachforderung darauf beruht (vgl. BSG, Urteil v. 24.11.2011, B 14 AS 121/10 R).
Rz. 398b
Bei unverantwortlichem Verbrauchsverhalten sieht das SG Koblenz keine Verpflichtung zur Übernahme von Stromschulden (SG Koblenz, Beschluss v. 4.11.2013, S 14 AS 724/13 ER). Es handelte sich um einen Fall wiederholter Stromsperrung, zuvor war die Sperre jeweils aufgrund eines gewährten Darlehens aufgehoben worden. Ursache für die Stromschulden war übermäßiger Stromverbrauch. Das SG sieht in Bezug auf minderjährige Kinder in der Bedarfsgemeinschaft die Verantwortung mehr bei den Eltern als beim Jobcenter.
Rz. 398c
Hat es der Leistungsberechtigte bewusst unterlassen, Mietzahlungen zu leisten und lässt sein Verhalten darauf schließen, dass er auf eine darlehensweise Übernahme der Schulden durch das Jobcenter vertraut hat, ist dies bei einer umfassenden Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Derartige Sachverhalte legen ein missbräuchliches Verhalten des Leistungsberechtigten nahe.
Rz. 398d
Es sei dem Leistungsberechtigten auch zumutbar, im Zivilrechtsweg gegen eine angekündigte oder ausgeübte Stromsperre vorzugehen. Eine Schuldenübernahme soll dann nicht gerechtfertigt sein, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der betroffene Leistungsberechtigte sein (Verbrauchs-)Verhalten ändert. Es ist von einem sozialwidrigen und missbräuchlichem Verhalten auszugehen, wenn jährlich wiederholend erhebliche Rückstände an Strom und Heizkosten trotz entsprechender Unterstützung in der Vergangenheit entstehen und kein Selbsthilfewille erkennbar ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 9.4.2016, L 7 AS 170/16 B). Sind Kinder in der Bedarfsgemeinschaft vorhanden und verhalten sich die Eltern sozialwidrig und auch gegenüber den Kindern verantwortungslos, indem sie gezielt Miet- und Energiekostenrückstände aufbauen, obwohl sie bereits in der Vergangenheit Unterstützung erfahren haben, und ist auch ein Selbsthilfewillen nicht zu erkennen, dann ist die Gewährung eines Darlehens zur Tilgung von Strom- und Gasschulden objektiv nicht dazu geeignet, den Leistungsberechtigten zukünftig zu einem anderen Verbrauchsverhalten zu veranlassen und somit die bisherige Wohnung für ihn und seine Kinder dauerhaft zu sichern. Dabei treten für das LSG Verschuldensgesichtspunkte im Rahmen der Ermessensausübung zurück, wenn minderjährige Kinder betroffen sind, weil zwar ein erwachsener Leistungsberechtigter in Ausnahmefällen auf die übergangsweise Nutzung einer Notunterkunft verwiesen werden darf, nicht aber minderjährige Kinder bei einem fehlerhaften Verhalten ihrer Eltern.
Rz. 398e
Die wiederholte zweckwidrige Mittelverwendung spricht dafür, dass der Leistungsberechtigte bewusst Miete im Vertrauen darauf nicht zahlt, dass später die Mietrückstände übernommen werden. In einem solchen Fall sozialwidrigen Verhaltens durch Herbeiführung von Mietrückständen trotz ausreichender Mittel erscheint eine Hilfegewährung nicht gerechtfertigt (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 13.3.2013, L 2 AS 42/13 ER B; vgl. dazu auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 1.3.2011, L 12 AS 622/11 ER-B, mit Hinweis auf LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 27.12.2010, L 3 AS 557/10 B ER; vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 3.12.2014, L 19 AS 1909/14 B, zur Verletzung sozialrechtlicher Obliegenheiten oder den Missbrauch von Sozialleistungen).
Rz. 398f
Die Gewährung eines Schulden ausgleichenden Darlehens darf das Jobcenter dann nur in atypischen Fällen ablehnen (so auch SG Berlin, Beschluss v. 29.12.2015, S 37 AS 26006/15 ER...