Rz. 71
Die Hinnahme einer arbeitgeberseitigen Kündigung durch einen schwerbehinderten Beschäftigten, die mit Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen wurde, deutet an, dass der Arbeitnehmer sich gegen die Kündigung auch nicht erfolgreich hätte zur Wehr setzen können. Ein Tatbestand für eine Leistungsminderung kann dennoch vorliegen, wenn der arbeitgeberseitigen Kündigung ein arbeitsvertragswidriges Verhalten zugrunde lag (zur Zustimmung des Integrationsamtes: VG Düsseldorf, Urteil v. 7.4.2017, 21 K 153/16).
Rz. 71a
Bietet der Arbeitnehmer eine vom Arbeitgeber verlangte vertraglich nicht geschuldete Leistung an, ist er so zu stellen (§ 242 BGB), als hätte er die tatsächlich geschuldete Leistung angeboten (BAG, Urteil v. 28.6.2017, 5 AZR 263/16). Der Arbeitgeber gerät allerdings bei nicht durchgehender Leistungsfähigkeit nicht in Annahmeverzug.
Rz. 71b
Die Aufzeichnung und Speicherung von Tastatureingaben (Keylogger) stellt einen Eingriff in das Recht des Arbeitnehmers auf informationelle Selbstbestimmung dar (Datenerhebung nach § 3 BDSG). Auf eine Einwilligung kann sich der Arbeitgeber nicht berufen, wenn der Arbeitnehmer einer entsprechenden Mitteilung lediglich nicht entgegentritt (BAG, Urteil v. 27.7.2017, 2 AZR 681/16). Bei der Überwachung des elektronischen Schriftverkehrs am Arbeitsplatz sind, soweit Rechtsvorschriften über die Voraussetzungen geschaffen werden, unter denen ein Arbeitgeber die elektronische oder sonstige Kommunikation nicht beruflicher Art am Arbeitsplatz überwachen darf, Verhältnismäßigkeit und Verfahrensgarantien gegen Willkür wesentlich (RGMR, Urteil v. 5.9.2017, 61496/08). Gesichtspunkte sind etwa die Information des Arbeitnehmers, die Dauer, legitime Gründe, die Anzahl der Personen mit Zugang zum Ergebnis.
Rz. 71c
Eine offene Videoüberwachung darf nicht einen Anpassungs- und Leistungsdruck erzeugen, der in seiner Intensität einer verdeckten Überwachung gleichkommt, wenn kein durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht auf schwerwiegende Pflichtverletzungen besteht (BAG, Urteil v. 28.3.2019, 8 AZR 421/17).
Eine verdeckte Überwachungsmaßnahme zur Aufdeckung einer schwerwiegenden Pflichtverletzung bei einem auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdacht kann zulässig sein (BAG, Urteil v. 29.6.2017, 4 Sa 61/15). Es kommt vor dem Einsatz eines Detektivs auf die Verhältnismäßigkeit an. Bei der Aufdeckung muss es sich nicht um eine während des Beschäftigungsverhältnisses begangene Straftat handeln.
Die Große Kammer der EMRK hat einzelfallbezogen die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Privatleben von Supermarktkassiererinnen bestätigt, obwohl sie über die Videoüberwachung nicht informiert wurden. Diese war aber öffentlich zugänglich und es lag ein berechtigter Verdacht schwerwiegender Straftaten vor, die Verluste waren umfangreich (EMRK, Urteil v. 17.10.2019, 1874/13, 8567/13),
Rz. 71d
Eine Verdachtskündigung erfordert eine konkrete Anhörung des Arbeitnehmers unter Konfrontation mit den verdachtsbegründenden Umständen, außerdem eine hohe Wahrscheinlichkeit i. S. eines dringlichen Tatverdachts (LAG Hamm, Urteil v. 14.8.2017, 17 Sa 1540/16). Im entschiedenen Verfahren besteht das Arbeitsverhältnis fort. Eine Sparkassenangestellte hatte einen Geldkoffer unter Verletzung des 4-Augen-Prinzips geöffnet und angegeben, eine Packung Waschpulver und Babynahrung vorgefunden zu haben. Der Arbeitgeber konnte auch nicht damit durchdringen, dass die Angestellte danach auffällige finanzielle Transaktionen getätigt habe.
Eine hohe Wahrscheinlichkeit kann sich bei sexueller Belästigung von Schülerinnen daraus ergeben, dass mehrere Zeugen unabhängig voneinander zu unterschiedlichen Begebenheiten ähnliche Verhaltensweisen schildern. Eine Verdachtskündigung erfordert eine sorgfältige, mögliche Fehlerquellen umfassend berücksichtigende Auseinandersetzung mit der Glaubhaftigkeit der jeweiligen Aussage und der Glaubwürdigkeit der Auskunftspersonen (BAG, Urteil v. 2.3.2017, 2 AZR 698/15).
Rz. 71e
Eine ernstliche Amokdrohung kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn der Wille des Drohenden darauf gerichtet ist, dass der Adressat die Drohung ernst nimmt. Ob der Drohende die Ankündigung verwirklichen kann oder will, ist nicht entscheidend (BAG, Urteil v. 29.6.2017, 2 AZR 47/16). Dazu kann auch eine Drohung mit Selbstmord gehören.
Rz. 71f
Wird einem Entlassungsverlangen des Betriebsrates (§ 104 Satz 2 BetrVG) rechtskräftig stattgegeben, begründet dies ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung (BAG, Urteil v. 28.3.2017, 2 AZR 551/16).
Rz. 71g
Bei der Sozialauswahl nach dem KSchG sind regelaltersrentenberechtigte Personen beim Kriterium Lebensalter weniger geschützt als andere Arbeitnehmer (BAG, Urteil v. 27.4.2017, 2 AZR 67/16).
Rz. 71h
Sind eine Organisationsentscheidung und ein Kündigungsentschluss des Arbeitgebers praktisch deckungsgleich, weil der Arbeitnehmer dem neuen Anforderungsprofil nicht genügt, muss die Entscheidung zur neuen Stellenprofilier...