0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 72 wurde durch Neufassung durch das Gesetz zur Regelung eines Sofortzuschlages und einer Einmalzahlung in den sozialen Mindestsicherungssystemen sowie zur Änderung des Finanzausgleichsgesetzes und weiterer Gesetze (Sofortzuschlags- und Einmalzahlungsgesetz) v. 23.5.2022 (BGBl. I S. 760) mit Wirkung zum 1.6.2022 neu belegt.
Die Vorgängerversion aus dem Siebten Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (7. SGB III-ÄndG) v. 8.4.2008 (BGBl. I S. 681) zum 1.1.2008 ist durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (9. SGB II-ÄndG) v. 26.7.2016 (BGBl. I S. 1824) mit Wirkung zum 1.8.2016 aufgehoben worden.
Durch das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze – Einführung eines Bürgergeldes (Bürgergeld-Gesetz) v. 16.12.2022 (BGBl. I S. 2328) wurden die Abs. 1 und 2 mit Wirkung zum 1.1.2023 geändert.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift regelt eine vorübergehend angelegte zusätzliche monatliche Leistung für Kinder. Betroffen sind weit über 2 Mio. Kinder.
Die Gesetzesbegründung zur Vorschrift nimmt allgemein auf die Problematik der Kinderbedarfe Bezug und führt aus, dass Kinder hilfebedürftig sind, wenn ihre Eltern hilfebedürftig sind, Kinder demzufolge immer dann im Bezug von Leistungen nach dem SGB II, dem SGB XII, dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) oder des § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG), stehen, wenn ihre Eltern kein ausreichendes Einkommen für die gesamte Familie erzielen. Das kann die Chancen der Kinder zur gesellschaftlichen Teilhabe, zur Teilhabe an Bildung und am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt mindern und zu Armut führen. Im Koalitionsvertrag für die 20. Legislaturperiode ist deshalb das Ziel festgelegt, mit der Kindergrundsicherung bessere Chancen für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Bis zur Einführung der Kindergrundsicherung soll ein Sofortzuschlag die Kinder (übergangsweise) ergänzend unterstützen.
Rz. 2a
Bis zur Einführung einer Kindergrundsicherung werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die mit ihren leistungsberechtigten Eltern in einem Haushalt leben, durch einen neuen Sofortzuschlag in Höhe von 20,00 EUR monatlich unterstützt. Dies soll finanzielle Spielräume schaffen und dazu beitragen, die Lebensumstände und Chancen der Kinder zu verbessern. Beim Sofortzuschlag handelt es sich der Gesetzesbegründung zufolge um eine zusätzliche Leistung. Als Voraussetzung für den Anspruch wird definiert, dass das Kind entweder einen Leistungsanspruch nach dem SGB II oder SGB XII, dem AsylbLG oder auf die Ergänzende Leistung zum Lebensunterhalt nach dem BVG hat, oder der Anspruch nur wegen der Berücksichtigung elterlichen Kindergeldes beim Kind nicht besteht, oder die Eltern für das Kind Kinderzuschlag erhalten (vgl. BT-Drs. 20/1411).
Rz. 2b
Die Rechtsänderungen zum 1.1.2023 vollziehen lediglich die Einführung des Bürgergeldes im SGB II nach. Damit waren keine materiell-rechtlichen Änderungen verbunden.
2 Rechtspraxis
Rz. 3
Der Sofortzuschlag nach dem SGB II als zusätzliche Leistung dient nicht der Deckung eines konkreten Bedarfs. Die zum Existenzminimum gehörenden Bedarfe werden nach der Gesetzesbegründung bereits durch die geltenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gedeckt. Bis zur Einführung einer Kindergrundsicherung soll der Sofortzuschlag die erforderlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts um einen zusätzlichen Betrag ergänzen, der unabhängig von der geltenden Höhe der Regelbedarfe oder anderer Bedarfe erbracht wird.
Rz. 4
Im Rahmen der Prüfung der Einführung einer Kindergrundsicherung soll eine Neudefinition des soziokulturellen Existenzminimums von Kindern und Jugendlichen erfolgen. Dies beinhaltet der Gesetzesbegründung zufolge die Prüfung sämtlicher Bestandteile des soziokulturellen Existenzminimums einschließlich der Regelbedarfe und ihrer Ermittlung. In der Grundsicherung für Arbeitsuchende kommt der Sofortzuschlag demnach zum einen Kindern zugute, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern oder Elternteilen leben und einen eigenen Anspruch auf Bürgergeld haben. In diesen Fällen erhalten sie die Leistung unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 3, 4, 5 oder 6.
Rz. 5
Außerdem wird der Zuschlag gezahlt, wenn Anspruch auf zumindest eine konkrete Bildungs- und Teilhabeleistung besteht. Denn in diesem Fall ist das Kind ebenfalls hilfebedürftig im Sinne der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der Sofortzuschlag wird zusätzlich zu dem im jeweiligen Einzelfall bewilligten Bürgergeld und ggf. der konkreten Bildungs- und Teilhabeleistung gewährt. Hat das Kind nur Anspruch auf eine Bildungs- und Teilhabeleistung, wird der Sofortzuschlag zusätzlich zu dieser Leistung gewährt. Die Feststellung, dass ein Kind Leistungen des Bildungspakets dem Grunde nach beanspruchen könnte, reicht noch nicht aus; es muss eine konkrete Bildungs- oder Teilhabeleistung bewilligt worden sei...