Rz. 2
§ 74 regelt Ansprüche von Antragstellern mit Fiktionsbescheinigung, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG beantragt haben. Damit wurde nach der Gesetzesbegründung Nr. 12 Buchst. a des Beschlusses der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder v. 7.4.2022 über die Einbeziehung der aus der Ukraine geflüchteten Menschen, deren Aufenthalt aufgrund der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt gilt bzw. deren bisheriger Aufenthaltstitel als fortbestehend gilt und denen eine Bescheinigung über die Wirkung der Antragsstellung (Fiktionsbescheinigung) ausgestellt wurde, in den Anwendungsbereich des SGB II umgesetzt.
Rz. 2a
Für die Bundesregierung stehen in Bezug auf ukrainische Flüchtlinge die Grundversorgung und die Sicherstellung existentieller Bedarfe im Vordergrund. Dazu gehört, dass die geflüchteten Menschen bei Ankunft in Deutschland einen Zufluchtsort und Sicherheit finden. Auch die Bundesagentur für Arbeit, die zugelassenen kommunalen Träger und die Jobcenter sind aufgerufen, diesen Menschen eine Perspektive zu bieten und die Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dafür wurden wichtige Weichen gestellt. Die Schutzsuchenden haben nach Beantragung des vorübergehenden Schutzes einen sofortigen und unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie können in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, auch im Rahmen von Zeitarbeit, eine berufliche Ausbildung oder auch eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen. Sowohl die Fiktionsbescheinigung nach Beantragung des Titels mit dem Eintrag "Erwerbstätigkeit erlaubt" als auch später die Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG stehen dem nicht entgegen. Arbeitgeber erhalten aus Sicht der Bundesregierung somit frühzeitig Rechtssicherheit, die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist für die Ausübung einer Beschäftigung jedenfalls nicht erforderlich. Gut ausgebildete Schutzsuchende können in den sog. nicht reglementierten Berufen direkt entsprechend ihrer Qualifikation eingestellt werden, auch wenn die Abschlüsse noch nicht anerkannt sein sollten.
Rz. 2b
Anlaufstelle für die geflüchteten Menschen ist ab 1.6.2022 damit das Jobcenter. Hier erhalten sie Hilfe aus einer Hand in Form von Zugang zu Integrations- und Sprachkursen (vgl. ab 1.1.2023 § 3 Abs. 4), zum Arbeitsmarkt und zur Unterstützung bei der Organisation von Kinderbetreuung. Außerdem gelten Erleichterungen bei den Wohnsitzauflagen, insbesondere bei Aufnahme einer Beschäftigung, beim Besuch von Integrationskursen oder bei Weiterbildungsmaßnahmen. Grundüberlegung ist, dass Voraussetzung für den Erhalt der Leistungen zur Grundsicherung bleibt, dass die betroffenen Ausländer einen Aufenthaltstitel zum vorübergehenden Schutz beantragt haben, im Ausländerzentralregister erfasst wurden und die übrigen Voraussetzungen für den Erhalt von Grundsicherungsleistungen erfüllen. Personen, die eine förderungsfähige Ausbildung absolvieren, sollen unter den gleichen Voraussetzungen Leistungen nach dem BAföG erhalten können. Außerdem soll außerhalb der Grundsicherung nicht hilfebedürftigen Personen das Recht zustehen, der gesetzlichen Krankenversicherung beizutreten.
Rz. 2c
Das Verfahren zum Aufenthalt in Deutschland vollzieht sich in vier Schritten mit erster Registrierung, im Falle von Sozialleistungsbezug Verteilung an einen Wohnort, Anmeldung der Wohnanschrift am Zielort und Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis.
Ausländer, die sich am 24.2.2022 in der Ukraine aufgehalten haben sowie ukrainische Staatsangehörige, die am 24.2.2022 einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine hatten, aber die sich zu diesem Zeitpunkt vorübergehend nicht in der Ukraine aufgehalten haben, sind bis zum 31.8.2022 vom Erfordernis einer Aufenthaltserlaubnis befreit. Für das gesamte Gebiet der EU gilt zumindest, dass ukrainische Staatsangehörige sich mit einem biometrischen Pass 90 Tage frei in den Ländern der EU aufhalten und sich innerhalb der EU bewegen dürfen. Insoweit ist eine Erstregistrierung in Deutschland zunächst nicht zwingend notwendig, wenn auch keine Sozialleistungen beansprucht werden. Darauf stellt § 74 ab.
Rz. 2d
§ 74 regelt Ansprüche der betroffenen Schutzsuchenden nach dem SGB II abweichend von den Ausschlüssen für die ersten 3 Monate der nicht als Arbeitnehmer oder Selbständige und auch nicht aufgrund § 2 Abs. 3 FreizügigkeitsG/EU freizügigkeitsberechtigten Ausländer und ihrer Familienangehörigen und ohne Aufenthaltsrecht oder Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitsuche (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2).
Seit 1.6.2022 werden die Hilfen und Sozialleistungen für hilfebedürftige geflüchtete Menschen aus der Ukraine damit nicht mehr nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern nach dem SGB erbracht. Voraussetzung ist, dass sie erkennungsdienstlich behandelt worden sind und einen Aufenthaltstitel zum vorübergehenden Schutz beantragt haben, ihnen diesbezüglich eine F...