Rz. 5

Das Erfordernis einer erkennungsdienstlichen Behandlung betrifft ein Grundbedürfnis des Staates, Informationen darüber zu haben, wer sich in Deutschland unter welcher Identität aufhält. Angaben zu Alter, Identität und Staatsangehörigkeit sind daher bereits grundsätzlich für jeden Ausländer in § 49 Abs. 2 AufenthG vorgeschrieben, entsprechende Angaben sind verpflichtend, wenn z. B. ein Aufenthaltstitel erteilt werden soll (hier nach § 24 Abs. 1 AufenthG).

Die Voraussetzung der "erkennungsdienstlichen Behandlung" in Abs. 1 ist ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal, nicht nur eine Ordnungsvorschrift. Eine nicht erkennungsdienstlich behandelte Person, die sich zunächst nach § 2 Abs. 1 UkraineAufenthÜV und danach nach § 81 Abs. 3 AufenthG rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, aber anfänglich mangels Antrags auf einen Aufenthaltstitel und danach wegen eines die Erwerbstätigkeit ausdrücklich nicht gestattenden Vermerks in der Fiktionsbescheinigung nicht die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 erfüllt, hat nach 3 Monaten des Aufenthalts einen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe auf der Grundlage von § 23 Abs. 1 SGB XII (LSG Hessen, Beschluss v. 2.11.2022, L 4 SO 124/22 B ER).

 

Rz. 6

Die Identität eines Ausländers ist zwingend durch erkennungsdienstliche Maßnahmen zu sichern, wenn eine Verteilung gemäß § 15a stattfindet (vgl. § 49 Abs. 4 AufenthG), wie das bei dem in § 74 vorrangig in Rede stehenden Personenkreis der ukrainischen geflüchteten Menschen der Fall ist. Zusammen mit § 74 in das SGB II ist zusätzlich ein § 49 Abs. 4a in das AufenthG eingefügt worden, der vorschreibt, dass die Identität eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG beantragt und der das 14. Lebensjahr vollendet hat, vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis durch erkennungsdienstliche Maßnahmen zu sichern ist. Eine Ausnahme bilden die Kinder aus diesem Personenkreis im Alter von 6 bis 13 Jahren, bei ihnen gilt das Soll-Prinzip.

 

Rz. 7

§ 81 Abs. 7 AufenthG sichert den Anspruch des Staates ab und bestimmt dazu, dass in Fällen, in denen die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 AufenthG (oder § 16 AsylG) zu sichern ist, eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden darf, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung (tatsächlich) durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister vorgenommen wurde, die erkennungsdienstliche Behandlung also tatsächlich stattgefunden hat und die gewonnenen Daten gesichert und verfügbar gemacht wurden. Dadurch können die Jobcenter in diesen Fällen die erkennungsdienstliche Behandlung unterstellen.

 

Rz. 8

Im Regelfall des Abs. 1 gilt der Aufenthalt des Ausländers bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt, wenn er sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, und die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt. Ab Antragstellung gilt die Abschiebung als ausgesetzt. Der Ausländer erhält dann eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (sog. Fiktionsbescheinigung), vgl. § 81 Abs. 5 und 3 AufenthG.

 

Rz. 9

In Fällen des Auslaufens eines früheren Aufenthaltstitels gelten dieselben Regeln, die Fiktionsbescheinigung aufgrund des Folgeantrages wird dann nach § 81 Abs. 5 und Abs. 4 AufenthG ausgestellt. Abs. 2 betrifft also die Personen, die sich bereits vor Eintritt der Gründe, die zu dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates der Europäischen Union v. 4.3.2022 geführt haben, in Deutschland aufgehalten haben, nunmehr aus den Gründen dieses Beschlusses nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren können und zunächst über eine anderen als die in § 24 Abs. 1 AufenthG normierte Aufenthaltserlaubnis verfügt haben. Nach dem Beschluss – die Ukraine ist in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 (2) aufgeführt –, sind Staatsangehörige der Ukraine für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, von der Pflicht, beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums zu sein, befreit. Ausgehend von den Erfahrungen nach der rechtswidrigen Annexion der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland im Jahr 2014 und dem Krieg in der Ostukraine wird erwartet, dass die Hälfte der Ukrainer, die im Rahmen des für einen kurzfristigen Aufenthalt geltenden visumfreien Reiseverkehrs in die Union kommen, Familienangehörigen nachzieht oder eine Beschäftigung in der Union sucht, während die andere Hälfte internationalen Schutz beantragt. Je nach Entwicklung des Konflikts dürfte die Union, den aktuellen Schätzungen zufolge, mit einer sehr großen Zahl – möglicherweise zwischen 2,5 Mio. und 6,5 Mio. – Vertriebener als Folge des bewaffneten Konflikts konfrontiert werden, wobei davon ausgegangen wird, dass zwischen 1,2 Mio. und 3,2 Mio. von ihnen internationalen Schutz beantragen. Nach Schätzungen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten ...

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