0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) mit Wirkung zum 1.1.2020 in das SGB IX eingefügt worden.
1 Allgemeines
Rz. 2
Mit der Vorschrift ist das in § 8 für alle Rehabilitationsträger geregelte Wunsch- und Wahlrecht für die Leistungen der Eingliederungshilfe präzisiert worden. Damit ist die Regelung auch lex specialis gegenüber der Vorschrift des § 33 SGB I.
Mit der in der Eingliederungshilfe neu verankerten Personenzentrierung der Leistungen ist die Unterscheidung zwischen ambulanter, teilstationärer und stationärer Leistungserbringung entfallen. Der in der Sozialhilfe verankerte Interessensausgleich zwischen den berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten und dem Ziel der wirtschaftlichen Leistungserbringung war daher mit der Übernahme der Eingliederungshilfe in das SGB IX so auszugestalten, dass es auf die bisherige einrichtungsorientierte Abwägung nicht mehr ankommt.
In § 104 wurden 3 wesentliche Prinzipien der Leistungserbringung in der Eingliederungshilfe aufgegriffen und zueinander ins Verhältnis gesetzt. Abs. 1 verankert den Grundsatz der einzelfallorientierten Leistungsgewährung. Abs. 2 definiert den Umfang des Wunsch- und Wahlrechts in der Eingliederungshilfe. Abs. 3 greift als übergeordnetes Korrektiv der Einzelfallprüfung das im Sozialrecht allgemein verankerte Kriterium der Zumutbarkeit auf. Die Zumutbarkeit ist insbesondere für den Ort der Leistungserbringung relevant.
2 Rechtspraxis
2.1 Grundprinzip der Leistungserbringung (Abs. 1)
Rz. 3
Abs. 1 überführt das in § 9 Abs. 1 SGB XII geregelte Grundprinzip der Leistungserbringung nach den Besonderheiten des Einzelfalls in die Eingliederungshilfe. Dabei wird der Fokus jedoch auf die Besonderheiten bei Menschen mit erheblich eingeschränkter Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft gerichtet. Neben der Art des Bedarfs und den eigenen Kräften und Mitteln ist bei Menschen mit erheblich eingeschränkter Teilhabefähigkeit insbesondere auch von Bedeutung, wo sie leben, wie sie leben und wie das familiäre, freundschaftliche und nachbarschaftliche Umfeld ist. Dem ist Rechnung getragen worden, indem in die Einzelfallprüfung auch die Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse sowie des Sozialraums einzubeziehen sind. Auch die Wohnform ist dabei zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung der Wohnform ist im Gesetzgebungsverfahren eingefügt worden (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, BT-Drs. 18/10523, zu Nr. 1 Buchst. v Doppelbuchst. aa). Die Ergänzung sollte unterstreichen, dass bei der Summe aller bei der Würdigung des Einzelfalls zu berücksichtigender Umstände auch die Wohnform eine Rolle spiele.
Rz. 4
Satz 2 stellt klar, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig von dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze so lange zu gewähren sind, wie die Teilhabeziele erreichbar sind. Maßgabe ist der Gesamtplan nach § 121.
2.2 Angemessenheitsprüfung (Abs. 2)
Rz. 5
Nach Satz 1 ist angemessenen Wünschen der Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistungen richten, zu entsprechen. Das Kriterium der Angemessenheit ist nicht auf Kostengesichtspunkte beschränkt, sondern umfasst auch die Qualität der Leistungen und deren Erfolgswahrscheinlichkeit im Hinblick auf die im Gesamtplan festgehaltenen Teilhabeziele. Das Erfordernis der Angemessenheit erfordert eine Bewertung aller Tatbestandsmerkmale des Abs. 1 im Verhältnis zu den geäußerten Wünschen. In die Bewertung sind damit insbesondere die Art des Bedarfs, die persönlichen Verhältnisse, der Sozialraum, die eigenen Kräfte und Mittel der leistungsberechtigten Person sowie auch die Wohnform einzubeziehen.
Rz. 6
Satz 2 definiert eine "Angemessenheitsobergrenze". Diese Definition trägt dem Umstand Rechnung, dass aufgrund der in der Eingliederungshilfe nunmehr verankerten Personenzentrierung die Differenzierung in ambulante und stationäre Leistungen entfallen ist und der auf dieser Differenzierung basierende "Mehrkostenvorbehalt" des § 13 SGB XII in der nunmehrigen Leistungssystematik ins Leere gehen würde.
Rz. 7
Die Angemessenheitsobergrenze greift wie in der Sozialhilfe auf die "unverhältnismäßigen Mehrkosten" zurück und bezweckt den notwendigen Ausgleich zwischen den das Wunsch- und Wahlrecht leitenden Vorstellungen des Leistungsberechtigten über die Leistungserbringung und dem den Trägern der Eingliederungshilfe obliegenden Gebot der Wirtschaftlichkeit. Damit die unverhältnismäßigen Mehrkosten messbar sind, soll ein Kostenvergleich mit geeigneten und bedarfsdeckenden Leistungsalternativen von Leistungserbringern erfolgen, mit denen eine Vereinbarung nach Kapitel 8 besteht. Eine Leistung ist hiernach allerdings nur dann mit einer anderen vergleichbar, wenn beide neben dem Teilhabeziel auch bezüglich der Leistungsform miteinander übereinstimmen und der individuelle Bedarf durch die im Vergleich betrachteten vereinbarten Leistungen gedeckt werden kann und diese wirklich verfügbar wären. Insbesondere können Einzelleistungen mit Grupp...