Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Geburtsjahr 2000. türkischer Staatsangehöriger. Mitwirkungspflicht. grobe Fahrlässigkeit. Anwendungsbereich des EWGAssRBes 3/80. Asylbewerber. Aufenthaltstitel. rechtmäßiger Aufenthalt. Amtssprache
Orientierungssatz
1. Zur Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides gemäß §§ 10 Abs 2, 4 Abs 3 BErzGG iV mit §§ 48, 50 SGB 10 wegen grober Fahrlässigkeit (hier: Nichtanzeige der Aufnahme der Erwerbstätigkeit eines türkischen Staatsangehörigen gegenüber der für Erziehungsgeld zuständigen Behörde).
2. Zum Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Erziehungsgeld nach dem BErzGG iVm Art 3 Abs 1 EWGAssRBes 3/80 für eine mit einem türkischen Arbeitnehmer verheiratete türkische Staatsangehörige, die nicht als Arbeitnehmerin, sondern als Asylbewerberin in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und im Besitz einer Duldung/Aufenthaltsgestattung ist.
3. Das Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 1 EWGAssRBes 3/80 besteht nur dann, wenn sich die Ausländerin rechtmäßig in dem Mitgliedstaat aufhält. Ein rechtmäßiger Aufenthalt besteht nur bei einer besonderen Beziehung zu dem Mitgliedstaat durch eine mit dessen Zustimmung begründete Aufenthaltsverfestigung. Die faktische Anwesenheit reicht dazu nicht, selbst wenn sie dem Mitgliedstaat bekannt ist und von diesem hingenommen wird.
4. In der Bundesrepublik Deutschland ist für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts grundsätzlich die Zustimmung zur Verlegung des Aufenthalts in das Bundesgebiet erforderlich. Diese liegt bei einer gesetzlichen Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs 1 S 1 AsylVfG 1992 ebenso wenig vor wie bei einer Duldung nach § 55 Abs 1 des Gesetzes über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern im Bundesgebiet (AuslG 1990). Sie begründet keinen materiell rechtmäßigen, sondern nur einen verfahrensrechtlich abgesicherten Aufenthalt in dem Sinne, dass sie den Aufenthalt ohne Gesetzesverstoß ermöglicht, aber keine gesicherte aufenthaltsrechtliche Position begründet (vgl BSG vom 1.9.1999 - B 9 SB 1/99 R = BSGE 84, 253 = SozR 3-3870 § 1 Nr 1).
5. Nach § 19 Abs 1 SGB 10 hat ein Ausländer keinen Anspruch auf Abfassung der an ihn gerichteten Schreiben in einer anderen als der deutschen Sprache. Er muss sich also, wenn er diese nicht hinreichend beherrscht, Klarheit über den Inhalt verschaffen, beispielsweise durch Bitte um ein Aufklärungs- und Beratungsgespräch iS der §§ 13, 14 SGB 1, welches - ggf mit Hilfe eines Dolmetschers - auch in der Muttersprache des Ausländers geführt werden kann.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides nach §§ 10 Abs. 2 und 4 Abs. 3 Satz 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in Verbindung mit §§ 48 und 50 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X).
Der Kläger, türkischer Staatsangehöriger, lebt seit 1996 in der Bundesrepublik Deutschland. Eigenen Angaben zufolge hat er Deutschkurse belegt. Nach den Feststellungen des Sozialgerichts konnte er der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ohne Dolmetscher folgen und Fragen der Kammervorsitzenden beantworten.
Der Kläger verfügt über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seiner Ehefrau, ebenfalls türkische Staatsangehörige, war bei Abschluss des Widerspruchsverfahrens der Aufenthalt für die Durchführung des Asylverfahrens gestattet. Inzwischen ist sie als Asylberechtigte anerkannt.
Am 14. Februar 2000 beantragte der Kläger die Gewährung von Erziehungsgeld für das erste Lebensjahr (7. Februar 2000 bis 6. Februar 2001) seiner ... 2000 geborenen Tochter R. In der unter Punkt 20 des Antragsformulars abgedruckten von dem Kläger unterzeichneten Erklärung hieß es:
"Mir ist bekannt, dass ich alle Änderungen, die für den Anspruch auf Erziehungsgeld von Bedeutung sind (z. B. Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ...) unverzüglich mitzuteilen habe."
Mit Bescheid vom 15. Februar 2000 bewilligte ihm der Beklagte für die Zeit vom 7. Februar 2000 bis 6. Februar 2001 ungemindertes Erziehungsgeld (600,00 DM monatlich). Bestandteil des Bescheides waren "Hinweise zu Mitteilungspflichten", welche unter anderem lauteten:
"Sie sind verpflichtet, der Erziehungsgeldkasse jede wesentliche Änderung unverzüglich mitzuteilen. Diese Mitteilungspflicht besteht insbesondere, wenn Sie eine Erwerbstätigkeit aufnehmen ...".
Am 21. Februar 2001 stellte der Kläger einen von ihm unterschriebenen Folgeantrag. Darin ist unter Punkt 5 ("Beruf") das Wort "ohne" eingetragen und unter Punkt 9 ("Erwerbstätigkeit") keine Angabe gemacht worden. Auf Aufforderung des Beklagten legte der Kläger am 1. März 2001 eine Verdienstabrechnung vor, aus welcher sich ergab, dass er vom 15. März 2000 bis zum 14. März 2001 beschäftigt gewesen war und ein versicherungspflichtiges Bruttoeinkommen in Höhe von 3.319,53 DM monatlich bezogen hatte.
Mit Bescheid vom 2. März 2001 forderte der Beklagte daraufhin nach §§ 4, 10 Abs. 2 BErzGG i. V. m. §§ 48 und 50 SGB X Erziehungsgeld für die Zeit a...