Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Kindergeld. Betreuung des Kindes im Wechselmodell. Weiterleitung von Kindergeldanteilen an den getrennt lebenden Elternteil. Anwendbarkeit des § 1 Abs 1 Nr 8 AlgIIV 2008. Anwendbarkeit des § 11b Abs 1 S 1 Nr 7 SGB 2
Leitsatz (amtlich)
1. § 11 Abs 1 S 4 und 5 SGB II sieht eine Anrechnung des Kindergeldes auf den Bedarf eines Kindes auch bei Betreuung im sog Wechselmodell unabhängig von der Anzahl der Tage der Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft vor, solange der Bedarf nicht gedeckt ist.
2. Die Möglichkeit, bei tatsächlichem Zahlungszufluss beim Kindergeldberechtigten und Zugehörigkeit der Kinder zu dessen Bedarfsgemeinschaft aufgrund der Weiterleitung von Kindergeldanteilen an den getrennt lebenden Elternteil, abweichend von § 11 Abs 1 S 4 und 5 SGB II, die Zurechnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes zu reduzieren, findet in den Vorschriften des SGB II keine unmittelbare Stütze.
3. Die in § 1 Abs 1 Nr 8 Alg II-V (juris: AlgIIV 2008) vorgesehene Ausnahme erfasst nur Fälle, in denen das Kind, für das Kindergeld bezogen wird, dem Haushalt des Leistungsberechtigten (gar) nicht angehört, mit der Folge dass die Zurechnungsregelung des § 11 Abs 1 S 4 und 5 SGB II nicht greift und das Kindergeld folglich als Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils in die Leistungsberechnung einzubeziehen wäre. Die Vorschrift kann keine Anwendung finden, wenn Kinder im sog Wechselmodel von beiden Elternteilen betreut werden.
4. Eine zwischen den Eltern eines Kindes einvernehmlich getroffene Vereinbarung oder Absprache, die die Weiterleitung des Kindergeldes oder eines Teiles hiervon an den anderen nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Elternteil vorsieht, ist nicht ausreichend, um wegen einer hieraus resultierenden Bedarfsunterdeckung des Kindes einen erhöhten Leistungsanspruch nach dem SGB II zu begründen.
5. Aufgrund des zwischen den Unterhaltsverpflichtungen der Eltern und den staatlichen Kindergeldzahlungen bestehenden Zusammenhanges erscheint es möglich, in analoger Anwendung des § 11b Abs 1 S 1 Nr 7 SGB II, von dem kraft Zurechnungsanordnung (§ 11 Abs 1 S 4 und 5 SGB II) als Einkommen der Kinder zu bewertenden Kindergeld dann einen Teilbetrag in Abzug zu bringen, wenn eine rechtliche Verpflichtung zur Weiterleitung von Kindergeld an den nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden nicht kindergeldberechtigten Elternteil aufgrund eines Titels oder einer notariellen unterhaltsrechtlichen Vereinbarung besteht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Berufung zum Thüringer Landessozialgericht wird zugelassen.
Tatbestand
In Streit steht die Höhe der abschließend festzustellenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. April 2018 bis 30. September 2018 und die Rechtmäßigkeit einer gegenüber der Klägerin zu 1 zur Erstattung festgesetzten Überzahlung von 355,86 Euro. Im Besonderen ist zwischen den Beteiligten die Höhe des berücksichtigungsfähigen Kindergeldes streitig.
Die Klägerin zu 1 ist Mutter von drei Kindern. Von dem Vater ihrer am 14. Juni 2007 geborenen Tochter A und ihrem am 13. November 2009 geborenen Sohn L lebt sie getrennt. Die Eltern nehmen das Sorgerecht gemeinsam wahr und betreuen die beiden Kinder zu gleichen Anteilen im sog. Wechselmodell. Der Vater der Kinder steht nicht im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Wechselseitige Unterhaltszahlungen erfolgen nicht. Bis einschließlich Februar 2019 zahlte die Familienkasse das staatliche Kindergeld für A und L in Höhe von 194 Euro pro Kind regelmäßig an die kindergeldberechtigte Klägerin zu 1 aus. Seit Januar 2018 überweist die Klägerin zu 1 das hälftige Kindergeld für diese beiden Kinder (97 Euro pro Kind monatlich) an den Kindesvater.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin und ihren Kindern A und L für den streitbefangenen Zeitraum zunächst vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 706,45 Euro für April 2018, 1.743,58 Euro für Mai 2018, 791,42 Euro monatlich für Juni 2018 bis August 2018 und 786,71 Euro für September 2018 (Bescheid vom 4. Juni 2018). Dabei berücksichtigte er Kindergeld bei den beiden Kindern bedarfsmindernd jeweils nur mit einem hälftigen Betrag von 97 Euro, statt 194 Euro. Im Rahmen der Begründung des Bescheides wird u. a. darauf verwiesen, die Entscheidung über die vorläufige Bewilligung beruhe auf § 41a Abs. 1 SGB II. Entsprechend der Angabe, wonach sich die Kinder wechselseitig zu etwa gleichen Teilen im Haushalt beider Elternteile aufhielten sei der halbe Mehrbedarf für Alleinerziehende anzuerkennen. Die Leistungen würden nach Ablauf des Bewilligungszeitraums nur auf Antrag endgültig festgesetzt.
Bis 16. August 2018 ging die Klägerin zu 1 einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Ab 17. August 2018 befand sie sich aufgrund der Schwangerschaft mit der Klägerin zu 2 in Mutterschutz. Von der Kr...