Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld. Befreiung von der Erstattungspflicht des Arbeitgebers. Rechtsänderung. fehlende Insolvenzfähigkeit des Arbeitgebers. juristische Person des öffentlichen Rechts. Verfassungsmäßigkeit. unzumutbare Belastung. Gefährdung der verbleibenden Arbeitsplätze. ursächlicher Zusammenhang. Nachweis

 

Orientierungssatz

1. Die Anwendung des Befreiungstatbestandes des § 147a Abs 2 Nr 2 SGB 3 in der ab 1.1.2002 geltenden Fassung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht und das Rückwirkungsverbot des Art 20 Abs 3 GG wird nicht verletzt, auch wenn bereits vor Inkrafttreten der Rechtsänderung mit dem Arbeitnehmer ein Aufhebungsvertrag mit Rücktrittsrecht geschlossen wurde.

2. Zur Beurteilung und zum Nachweis der unzumutbaren Belastung durch die Erstattungsforderung iS von § 147a Abs 2 Nr 2 SGB 3 bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Personennahverkehrs.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Arbeitslosengeld nebst Beiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 147 a Sozialgesetzbuch III - SGB III - i. d. F. ab dem 1. Januar 2002.

Die Klägerin ist als Anstalt des öffentlichen Rechts seit dem 1. Januar 1994 mit der Durchführung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) vom Land Berlin beauftragt. 1994 beschäftigte sie rund 21.000 Arbeitnehmer und baute das Personal bis auf rund 12.000 Arbeitnehmer (Stand Ende 2004) ab. Zwischen der Klägerin und dem Land Berlin besteht ein Unternehmensvertrag, der bis Ende 2007 läuft. Die Klägerin beabsichtigt auch weiterhin aus Kostengründen Personal abzubauen, damit mit Ablauf des Unternehmensvertrages zum Jahre 2008 europaweite Wettbewerbsfähigkeit bestehe. Bis einschließlich dem Haushaltsjahr 2001 wurde sie von einer Erstattungspflicht nach § 147a SGB III (§ 128 Arbeitsförderungsgesetz - AFG -) freigestellt.

Seit 1980 beschäftigte die Klägerin den am 9. Juli 1944 geborenen Busfahrer W N (N.). Mit Aufhebungsvertrag vom 19. April 2000 wurde einvernehmlich die Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses zum 31. Juli 2002 vereinbart. Diese Vereinbarung sah ein Rücktrittsrecht vor. Mit Auflösungsvertrag vom 11. Juni 2002 wurde das Arbeitsverhältnis dann endgültig zum 31. Juli 2002 unter Zahlung einer Abfindung i. H. v. rund 55.000 Euro beendet. N. meldete sich am 13. Juni 2002 arbeitslos zum 1. August 2002.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 15. August 2002 den Eintritt einer Sperrzeit vom 1. August bis zum 23. Oktober 2002 wegen Arbeitsaufgabe fest. Weiter bewilligte sie mit Bescheid gleichen Datums (15. August 2002) Arbeitslosengeld ab dem 24. Oktober 2002. Schließlich hörte sie mit Schreiben vom 13. Februar 2003 die Klägerin zu einer beabsichtigten Erstattungsaufforderung der Arbeitslosengeldzahlungen gemäß § 147 a SGB III an. Die Klägerin lehnte eine Erstattung ab. Die Beklagte setzte daraufhin mit Erstattungsbescheid vom 28. Februar 2003 eine Erstattungsforderung für die gezahlten Arbeitslosengeldleistungen im Zeitraum vom 24. Oktober 2002 bis zum 31. Januar 2003 in einer Gesamthöhe von 6.900,96 Euro (inklusive Sozialversicherungsbeiträge) fest.

Hiergegen erhob die Klägerin am 10. März 2003 mit der Begründung Widerspruch, die Erstattung sei für sie unzumutbar.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung insbesondere aus, die Klägerin könne sich nicht auf eine Unzumutbarkeit berufen, da die Regelung des § 147 a Abs. 2 Nr. 2 SGB III i. d. F. ab dem 1. Januar 2002 nur für insolvenzfähige Unternehmen gelte. Die Beklagte sei als Anstalt des öffentlichen Rechts nicht insolvenzfähig und damit nicht in der Lage, sich auf das Vorliegen einer unzumutbaren Belastung i. S. v. § 147 a Abs. 2 Nr. 2 SGB III zu berufen.

Mit ihrer Klage vom 9. April 2003 verfolgt die Klägerin ihr Begehren vor dem Sozialgericht Berlin weiter.

Sie rügt zum einen die Anwendung des § 147 a SGB III i. d. F. ab dem 1. Januar 2002 im Hinblick auf den bereits im April 2000 geschlossenen Aufhebungsvertrag. Nach Artikel 170 EGBGB gelte das Recht, was zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gegolten habe. Schließlich rügt sie die Verfassungswidrigkeit der Neuregelung des § 147 a SGB III. Es liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Willkürverbot, die Freiheit der Berufsausübung und die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung vor. Darüber hinaus sei, wie bereits der 10. Senat des Landessozialgerichts Berlin mit Urteil vom 25. Oktober 2002 - L 10 AL 57/99 W 01 - festgestellt habe, die Erstattung aus tatsächlichen Gründen unzumutbar. Eine Erstattung sei auch für Zeiträume ab 2002 unzumutbar, weil die Klägerin nach wie vor defizitär tätig sei.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2003 sowie gemäß § 96 SGG streitgegenständliche Bescheide der Beklagten aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf i...

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