Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. abtrennbarer Streitgegenstand. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungen für Auszubildende. Mehrbedarf für Alleinerziehende. fiktive Hilfebedürftigkeitsprüfung. Reihenfolge bei der Einkommensberücksichtigung. Minderung des Unterkunftsbedarfs durch Wohngeld
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Mehrbedarf für Auszubildende iS von § 27 Abs 2 SGB 2 kann ein isolierter Streitgegenstand sein.
2. Bei der Ermittlung eines Mehrbedarfs für Auszubildende nach § 27 Abs 2 SGB 2 ist abweichend von § 19 Abs 3 S 2 SGB 2 Einkommen zunächst auf die ausbildungsrelevanten Bedarfe (Regelbedarf und Bedarfe für Unterkunft und Heizung) und erst danach auf Mehrbedarfe anzurechnen.
3. Tatsächlich erzieltes Wohngeld ist abweichend von § 19 Abs 3 S 2 SGB 2 auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzurechnen.
Orientierungssatz
Az beim LSG: L 10 AS 1134/15
Tenor
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bewilligungsbescheides des Beklagten vom 10. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 11. März 2014 verurteilt, der Klägerin weitere Leistungen für Auszubildende für einen Mehrbedarf für Alleinerziehende für Dezember 2013 in Höhe von 100,60 EUR sowie für Januar bis Februar 2014 in Höhe von 88,36 EUR monatlich zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt einen höheren Mehrbedarf für Alleinerziehende als Leistung für Auszubildende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für Dezember 2013 bis Februar 2014.
Die 1979 geborene Klägerin lebt zusammen mit ihren Kindern, dem am 1995 geborenen R. H. und der 2008 geborenen M. A. H., in einer Wohnung in B. Die monatliche Miete betrug bis 31. Dezember 2013 460,23 EUR und erhöhte sich zum 1. Januar 2014 auf 474,23 EUR.
Die Klägerin studierte bis Februar 2014. Das Bezirksamt L von B bewilligte der Klägerin Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) in Höhe des Grundbedarfs von 572,00 EUR ab Juli 2013 (Bescheid des Bezirksamts L von B vom 20. Juni 2013).
Die Klägerin erhielt zudem ab November 2013 Wohngeld in Höhe von monatlich 55,00 EUR (Bewilligungsbescheid des Bezirksamts vom 16. Oktober 2013). Für beide Kinder erhielt die Klägerin jeweils 184,00 EUR monatlich Kindergeld. R. H. bezog eine Halbwaisenrente in Höhe von monatlich 107,96 EUR. M. A. H. erhielt einen Unterhaltsvorschuss in Höhe von 133,00 EUR monatlich.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin für November bis Dezember 2013 einen Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von monatlich 36,92 EUR und für Januar bis April 2014 in Höhe von monatlich 49,16 EUR (Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 10. Januar 2014).
Die Klägerin erhob hiergegen mit Schriftsatz ihrer späteren Prozessbevollmächtigten vom 7. Februar 2014 Widerspruch. Die Klägerin könne die Höhe der gewährten Leistungen nicht nachvollziehen. Der Beklagte habe bei der fiktiven Bedürftigkeitsprüfung den Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht berücksichtigt. Es bestünde ein Anspruch auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende in voller Höhe.
Der Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 11. März 2014). Der Bedarf der Klägerin setze sich aus dem Regelbedarf und dem Mehrbedarf für Alleinerziehende zusammen und betrage 519,52 EUR und ab 1. Januar 2014 531,76 EUR. Von dem Einkommen aus BAföG sei ein Anteil von 427,60 EUR berücksichtigungsfähig. Hinzu käme Einkommen aus Wohngeld in Höhe von 55,00 EUR. Nach Anrechnung dieser Einkommen verbliebe noch ein Bedarf für den Mehrbedarf für Alleinerziehende von 36,92 EUR und ab. 1. Januar 2014 in Höhe von 49,16 EUR.
Mit der am 10. April 2014 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Die Klägerin meint, der Beklagte habe bei der fiktiven Bedürftigkeitsprüfung zu Unrecht den Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht eingestellt.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 11. März 2014 zu verurteilen, der Klägerin einen weiteren Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von 100,60 EUR für Dezember 2013 sowie für die Monate Januar bis Februar 2014 in Höhe von 88,36 EUR monatlich zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, bei der Bedarfsberechnung sei Einkommen zunächst auf den Regelbedarf, dann auf den Mehrbedarf und erst dann auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung anzurechnen, sodass der Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht mehr zu berücksichtigen sei, da das Einkommen den Regelbedarf komplett und den Mehrbedarf für Alleinerziehende teilweise abdecke.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die der Kammer bei Entscheidung vorlagen, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) ...