Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. altersunabhängige Familienversicherung eines zum eigenen Unterhalt unfähigen Kindes. Berücksichtigung der Arbeitsmarktsituation und Entlohnungspraxis. Auswirkung. versicherungspflichtige Beschäftigung
Orientierungssatz
1. Bei der Beurteilung über eine Familienversicherung für behinderte Kinder ohne Altersbegrenzung, die sich selbst nicht unterhalten können, ist die bestehende Arbeitsmarktsituation für behinderte Menschen in der Bundesrepublik Deutschland und die bestehende Entlohnungspraxis zu berücksichtigen.
2. Eine altersunabhängige Familienversicherung eines zum eigenen Unterhalt unfähigen Kindes wird durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung nur für deren Dauer überlagert und nicht endgültig beendet (Anschluss an BSG vom 18.5.2004 - B 1 KR 24/02 R = SozR 4-2500 § 10 Nr 4).
Tenor
Es wird unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 festgestellt, dass die Beigeladene familienversichert ist. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um das Bestehen einer Familienversicherung.
Die Beklagte, bei der die am x. geborene schwerbehinderte Beigeladene bis zur Vollendung ihres 23. Lebensjahres als über den Kläger familienversichert geführt worden ist, erklärte dem Kläger nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe durch Bescheid vom 16.12.2009, den Fortbestand einer Familienversicherung für die Beigeladene nicht anerkennen zu können.
Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein, welchen er damit begründete, dass das Gesetz bei Vorliegen eines Schwerbehindertenausweises vorsehe, dass eine kostenlose Familienversicherung fortgeführt werden müsse.
Mit Bescheid vom 08.04.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung damit, dass der MDK nicht habe bestätigen können, dass die Beigeladene außerstande sei, sich selbst zu unterhalten, was Voraussetzung für den Fortbestand der Familienversicherung sei. Von Bedeutung sei auch, dass die Schwerbehinderung zu einem Zeitpunkt festgestellt worden sei, zu dem die Beigeladene aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses selbst versichert gewesen sei.
Hiergegen ist am 05.05.2010 beim erkennenden Gericht Klage erhoben worden.
Der Kläger trägt vor, seine Tochter, die Beigeladene, sei von Geburt an schwer krank und außerstande, sich selbst zu unterhalten. Sie sei nur in der Zeit vom 13.12.2004 bis 12.03.2005 in einer evangelischen Jugendbildungsstätte kurzzeitig beschäftigt gewesen.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 festzustellen, dass die Beigeladene familienversichert ist.
Die Beigeladene beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 festzustellen, dass sie familienversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.
Das Gericht hat ein psychologisches Gutachten beigezogen, welches die Bundesagentur für Arbeit über die Beigeladene hat erstatten lassen. Das Gericht hat obendrein die beim Gemeinsamen Versorgungsamt der Städte Dortmund, Bochum und Hagen über die Beigeladene geführte Akte beigezogen. Das Gericht hat zudem vom dem Evangelische Schülerinnen- und Schülerarbeit in Westfalen e.V. Unterlagen zu der dort stattgehabten Beschäftigung der Beigeladenen beigezogen. Das Gericht hat im Übrigen von den behandelnden Ärzten der Beigeladenen x. und x. Krankenaufzeichnungen über die Beigeladene aus den Jahren 2008 bis 2011 sich übersenden lassen. Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, erstattet durch den Neurologen und Psychiater x. aus x.. Wegen der Inhalte und der Ergebnisse der genannten Unterlagen wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 16.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2010 ist mit der Rechtslage nicht in Einklang zu bringen. Die Beigeladene ist vielmehr weiterhin familienversichert.
Nach Maßgabe von § 10 Abs. 2 Nr. 4 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) sind Kinder ohne Altersgrenze familienversichert, wenn sie als behinderte Menschen im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung ist, dass die Behinderung zu einem Zeitpunkt vorlag, in dem das Kind nach anderen Vorschriften familienversichert war. Die genannten Tatbestände sind hier erfüllt. Die Beigeladene ist schwerbehindert und auch außers...