Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Entscheidung nach vorläufiger Entscheidung. Verletzung von Nachweispflichten durch den Leistungsberechtigten. angemessene Fristsetzung. Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit. ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Länge der nach § 41a Abs 3 S 3 SGB 2 zu setzenden Frist bemisst sich nach den Einzelfallumständen.
2. Eine Frist von 21 Tagen zur Vorlage von Unterlagen ist bei einem selbständigen Aufstocker unangemessen kurz.
3. Hat der Leistungsträger eine zu kurze Frist gesetzt, ist eine Entscheidung gemäß § 41a Abs 3 S 3 SGB 2 auch dann rechtswidrig, wenn bis zur Entscheidung eine angemessene Frist verstrichen ist.
4. Eine Rechtsfolgenbelehrung, die hinsichtlich des Eintritts der Rechtsfolgen auf den Ablauf der gesetzten Frist zur Mitwirkung und nicht auf den Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung abstellt, ist falsch (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 9.4.2019 - L 32 AS 816/18 B PKH = info also 2019, 214).
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 16.7.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.9.2018 abgeändert durch das Teilanerkenntnis vom 13.2.2020 verpflichtet, den Ablehnungsbescheid vom 3.5.2018 sowie die Erstattungsbescheide vom 3.5.2018 zurückzunehmen.
2. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen.
Tatbestand
Die Klägerinnen wenden sich im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X gegen die Ablehnung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 01.03.2017 bis 31.8.2017 und die Erstattung von Leistungen in Höhe von nunmehr 3893,88 € bezüglich der Klägerin zu 1) und 2041,86 € betreffend die Klägerin zu 2).
Die 1966 geborene Klägerin zu 1) ist gelernte Textilfachfrau und seit 1988 mit der Boutique „C.“ selbstständig tätig. Die Klägerin zu 2) ist die 1998 geborene Tochter der Klägerin zu 2). Sie bildeten eine Bedarfsgemeinschaft und standen ab 1.9.2015 im Leistungsbezug des Beklagten. Hierbei wurden die Leistungen wegen dem erwarteten Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit der Klägerin zu 1) zunächst immer vorläufig bewilligt.
Mit am 2.9.2016 beim Beklagten eingegangenem Schreiben teilte die Klägerin zu 1) mit, dass sie sich für Anfang 2017 um ein anderes Ladenlokal kümmere. Mit der Baustelle in P. sei es nicht mehr möglich, geschäftlich gesehen zu überleben. Sie plane mit der Boutique nach R. umzuziehen. Am 8.2.2017 beantragte sie für die Bedarfsgemeinschaft Leistungen für den Zeitraum ab 1.3.2017. Hierbei legte sie die Anlage EKS mit den vorläufigen Angaben für den streitgegenständlichen Zeitraum vor. Sie rechnete für die Monate März bis Juni 2017 mit Verlusten, im Juli 2017 mit einem Gewinn von 280 € und im August mit einem Gewinn von 780 €.
Weiter teilte die Klägerin zu 1) am 15.02.2017 mit, sie betreibe ab 01.02.2017 die Boutique in R.. Die EKS-Prognose beruhe auf den Umsätzen der letzten Monate. Eine Prognose über die zukünftigen Umsätze könne erst erfolgen, wenn der neue Standort mindestens ein halbes Jahr eröffnet sei.
Mit Bescheid vom 22.02.2017 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen vorläufig Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von 1159,40 € monatlich; hierin enthalten war ein Zuschuss zu den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen der Klägerin zu 1) nach § 26 SGB II in Höhe von 275,78 €.
Mit Schreiben vom 20.2.2018 wurde die Klägerin zu 1) mit Frist zum 31.3.2018 aufgefordert, die abschließende EKS für den Zeitraum März bis Oktober 2017 mit allen erforderlichen Nachweisen einzureichen. Angefordert wurde ein vollständig ausgefülltes und unterschriebenes Formular Anlage EKS mit den abschließenden Angaben zum Einkommen aus Selbstständigkeit sowie vollständige Buchungsunterlagen inklusive aller Belege (Rechnungen, Quittungen und Kontoauszüge), wobei Kopien ausreichend seien. Originalbelege würden im weiteren Prüfungsverfahren gegebenenfalls nachgefordert. Zudem wurden die monatlichen Auswertungen der Einkünfte verlangt. Hierzu wurde ausgeführt, dass dies im Einzelnen bedeute:
Alle monatlichen
1. Betriebswirtschaftliche Auswertungen/Einnahme-Überschuss-Rechnungen,
2. Summen- und Saldenlisten,
3. Wertenachweis/Kontennachweis
4. Journal/Primanota
5. Kontenblätter/Kontenbücher der Buchungskonten
für diesen Zeitraum, sofern die Buchhaltung von einem Steuerberater/Buchführungsbüro erstellt würde.
Sofern die Buchhaltung selbst erstellt würde, seien neben vollständigen Belegen monatliche Aufzeichnungen der Einnahmen und Ausgaben nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung vorzulegen. Dies sei durch eine monatliche Aufstellung der Buchungsbelege nach Kalenderdatum und einer monatlichen Aufstellung der Buchungsbelege nach der EKS-Position vorzunehmen.
Weiter wurden angefordert:
- Lohnjournal
- Auflistung aller Fahrzeuge
- Fahrtenbuch
- Kopie aller Telefonrechnungen
- Kassenbuch mit allen Einnahmen und Ausgaben in bar
- Kopie von Mietverträgen
- Darstellung der Privatentnahmen
- Aufstellung der aus Eigenmitteln erworbenen Anlagegüter
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