Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Abgrenzung von Empfängnisverhütung und Krankenbehandlung. genetisch bedingtes erhöhtes Risiko gesundheitlicher Schädigung
Leitsatz (amtlich)
Zur Abgrenzung von Empfängnisverhütung und Krankenbehandlung im Falle eines genetisch bedingten erhöhten Risikos gesundheitlicher Schädigungen durch eine Schwangerschaft.
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 02.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.04.2011 verurteilt, der Klägerin die Kosten für den Einsatz der Mirena-Hormonspirale in Höhe von insgesamt 294,44 € zu erstatten.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
3. Die Berufung gegen das Urteil wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung in Höhe von 294,44 € für eine (Mirena-) Hormonspirale.
Bei der am xxx1988 geborenen Klägerin besteht eine Faktor V-Leiden-Mutation (stark erhöhte Thromboseneigung). Sie befand sich u. a. vom 26.01.2010 bis zum 01.02.2010 in stationärer Behandlung in der A.-Klinik H1. Die behandelnden Ärzte empfahlen anschließend die Kontrazeption mittels einer Spirale. Die Klägerin hatte bereits zuvor - am 18.01.2010 - ein Telefongespräch mit einer Sachbearbeiterin der Beklagten über diese Form der Empfängnisverhütung geführt. Der genaue Inhalt des Gesprächs ist zwischen den Beteiligten streitig. Am 08.02.2010 erfolgte eine Untersuchung und ein Beratungsgespräch bei Herrn Prof. Dr. L. im E. H., der in einem Arztbrief vom 10.02.2010 an die behandelnde Frauenärztin der Klägerin, Frau Dr. M., gleichfalls darauf hinwies, dass bei der Klägerin ein extrem hohes Risiko für ein Rezidiv einer Lungenembolie bestehe. Dieses Risiko würde durch eine Schwangerschaft bzw. die Postpartalperiode massiv gesteigert werden. Bezüglich der aktuellen Kontrazeption wäre ein systemisches Hormonpräparat nicht vertretbar. Auf Grund des jungen Alters und der langfristig notwendigen sicheren Kontrazeption könne eine Mirena-Spirale vertreten werden, allerdings sei auch darüber aufgeklärt worden, dass dies einer Zystenbildung nicht vorbeuge. Zusammenfassend halte er die Mirena für die sinnvollste Therapieoption.
Am 25.02.2010 ließ die Klägerin sich die Spirale einsetzen. Hierfür wandte sie Kosten in Höhe von 294,44 € auf (154,44 € Kauf und 140,00 € ärztliche Behandlung). Die Verordnung erfolgte auf einem Privatrezept. Die Klägerin nahm Bezug auf die zuvor mit der Beklagten geführten Telefonate und beantragte am 26.02.2010 die Kostenerstattung für den Kauf und den Einsatz einer Hormonspirale und legte hierbei eine Bescheinigung ihrer behandelnden Frauenärztin Frau Dr. M. vor. In der Bescheinigung hieß es, dass bei der Klägerin eine homozygote Faktor V-Leiden Mutation bestehe und sie aus medizinischen Gründen nicht schwanger werden dürfe. Sie bedürfe daher einer sicheren Kontrazeption. Die hierfür indizierte Kontrazeption sei die Einlage einer Mirena-Spirale.
Nach mehreren Telefonaten und der Einreichung weiterer medizinischer Unterlagen lehnte die Beklagte die Kostenerstattung mit Bescheid vom 02.12.2010 ab. Zur Begründung hieß es, dass nach § 24a Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) V Versicherte nur bis zum 20. Lebensjahr Anspruch auf die Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln. Liege eine Erkrankung vor, die mit Arzneimitteln behandelt werde, bei dessen Anwendung zur Vermeidung embryonaler Schäden eine wirksame und andauernde Empfängnisverhütung in der Fachinformation zwingend vorgeschrieben sei, könne es sich bei der deshalb notwendigen Verordnung von empfängnisverhütenden Mitteln um eine Krankenbehandlung zu Lasten der Kasse handeln. Den eingereichten ärztlichen Unterlagen sei eine derartige Medikation nicht zu entnehmen, die eine Kostenübernahme durch die Beklagte rechtfertige. Daher könne eine Kostenübernahme nicht erfolgen.
Die Klägerin erhob am 21.12.2010 Widerspruch, der mit Schreiben vom 02.02.2011 näher begründet wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es handele sich um eine Maßnahme der Empfängnisverhütung und nicht der Krankenbehandlung, so dass nur ein Anspruch bis zum 20. Lebensjahr bestehen könne. Die von der Klägerin angeführte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24.01.1990 (3 RK 18/88) sei noch zum Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) ergangen und habe für die nunmehr geltende Rechtslage nach dem SGB V keine Gültigkeit. Der Gesetzgeber habe mit der Regelung des § 24a SGB V den Umfang der Kostenübernahme für empfängnisregelnde Mittel bestimmt, was nach der alten Rechtslage nicht der Fall gewesen sei.
Die Klägerin hat am 06.05.2011 die vorliegende Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagte zur Übernahme der Kosten für die Therapie mit der Hormonspirale im Februar 2010 verpflichtet sei. Die Klägerin sei aus gesundheitlichen Gründen auf eine sichere Empfängnisverhütung angewiesen, was die behandelnden Ärzte mehrfach bestä...