Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Nadelepilation zur Behandlung von männlichem Bartwuchs bei Transsexualismus. Systemversagen. Anspruch auf Kostenübernahme durch Krankenkasse. Inanspruchnahme von nichtärztlichen Leistungserbringern
Orientierungssatz
1. Die grundsätzliche Begrenzung des Leistungskatalogs in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen bedarf im Falle eines Systemmangels, wie hier des Fehlens entsprechender Regelungen für Leistungen im Falle von Transsexualismus, einer erweiternden Auslegung.
2. Dies führt bis zur Einführung einer entsprechenden Regelung zu einem Anspruch von gesetzlich versicherten Transsexuellen gegenüber ihrer Krankenkasse auf Entfernung von Barthaaren, soweit dies im Einzelfall medizinisch notwendig ist.
3. Der Anspruch erstreckt sich auch auf die Inanspruchnahme von nicht ärztlichen Leistungserbringern.
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 14.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2018 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die notwendige Nadelepilationsbehandlung zur Entfernung der Barthaare durch eine entsprechend qualifizierte Kosmetikerin/einen entsprechend qualifizierten Kosmetiker (Elektrologistin/Elektrologisten) dem Grunde nach zu übernehmen.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Kostenübernahme für eine Nadelepilationsbehandlung zur Entfernung von Barthaaren.
Ursprünglich war die K. geborene Klägerin ein Mann. Sie ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Die L. attestierte der Klägerin mit Arztbrief vom 25.06.2015 Transsexualität. Seit dem 14.07.2015 steht die Klägerin wegen der Entfernung von Barthaaren aus dem Gesicht mit der Beklagten im Gespräch. Am 28.01.2016 bescheinigte die Hausärztin der Klägerin erheblichen Leidensdruck. Vor dem "Coming-out" im Sommer 2015 hätten sich zunächst deutliche Hinweise für Anpassungsstörungen sowie für eine vorliegende depressive Episode gezeigt, die vor dem Hintergrund der bisherigen Lebensgeschichte tiefenpsychologisch fundiert aufgearbeitet würden. Die Klägerin finde sich zunehmend in ihrer neuen Rolle zurecht, bewältige den Alltagstest immer besser. Insgesamt sei es bereits zu einer deutlichen Stabilisierung der Patientin gekommen. Schwierigkeiten in der Bewältigung der neuen Rolle bereite durchgängig der starke Bartwuchs. Eine Nachrasur am Nachmittag sei stets notwendig verbunden mit der Entfernung und Neuauftragung eines Camouflage-Make-Ups.
Der Hautarzt M. bescheinigte der Klägerin am 18.05.2016, dass sie an einem ausgeprägten Haarwuchs vom männlichen Typ im Gesicht leide. Für jede der ca. 30minütigen Behandlungssitzung müssten 33 € (GoÄ 742, Faktor 3,4) wegen des nicht unbeträchtlichen Arbeitsaufwandes liquidiert werden. Wieviele Sitzungen letztendlich nötig seien, um eine befriedigende Enthaarung zu erreichen, könne nicht vorhergesehen werden. Nach ca. 30 Behandlungstagen lasse sich dazu Genaueres sagen.
Zunächst wurde diese Nadelepilation in der Hautarztpraxis durchgeführt, die ausweislich des ärztlichen Attestes vom 26.07.2016 zu einem deutlich verschlechtert entzündlichen Hautbild führte. Sodann wurde aufgrund eines Bewilligungsbescheides vom 27.09.2016 eine Laserepilation durchgeführt, mit der aber die grauen und weißen Barthaare nicht entfernt werden konnten. Am 11.04.2017 wurde der Klägerin mit Vorlage eines Bildes attestiert, dass die erneute Nadelepilation durch eine Elektrologistin ein wesentlich besseres Ergebnis ohne entzündliche Hautreaktion gezeigt habe.
Die Klägerin wandte sich erneut an die Beklagte und erhielt zunächst am 04.05.2017 mündlich und am 24.05.2017 schriftlich die Mitteilung, dass eine Behandlung durch eine Kosmetikerin von der Beklagten nicht übernommen werde.
Mit Schreiben vom 07.06.2017 erhob die Klägerin Widerspruch gegen die ablehnende Entscheidung. Sie habe nur Ärzte in N. O. und P. gefunden, die die gewünschte Behandlung durchführen würden. Dies sei ihr nach § 75 Abs. 1a S. 5 SGB V nicht zuzumuten. Es liege ein Systemversagen vor. Sie habe daher einen Anspruch auf Zustimmung zur Behandlung durch einen geeigneten nicht vertraglichen Leistungserbringer.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.02.2018 zurück. Aufgrund des Arztvorbehaltes dürfe die Beklagte die gewünschte Behandlung nicht übernehmen.
Hiergegen hat die Klägerin am 16.03.2018 Klage erhoben. Sie macht im Wesentlichen geltend, dass sie einen Anspruch auf Durchführung der Epilationsbehandlung durch einen nichtärztlichen Leistungserbringer habe, weil aufgrund eines Systemversagens keine Ärzte in zumutbarer Entfernung zur Verfügung stünden.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 14.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.02.2018 aufzuheben, und
2. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die notwend...