Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Übernahme von Bestattungskosten. Kostentragungspflicht. Bestattungspflicht. Baden-Württemberg. Geschwister. Unzumutbarkeit der Kostentragung. Sozialhilfeempfänger. Nachlass. Erbausschlagung. keine bereiten Mittel. Sittenwidrigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein potenzieller Erbe kann trotz Ausschlagung des Erbes nach landesrechtlichen Vorschriften zur Bestattung verpflichtet sein.

2. Die Erbausschlagung bewirkt, dass die Erbschaft als von Anfang an nicht angefallen gilt. Ein eventueller Nachlasswert steht deshalb dem zur Bestattung Verpflichteten zu keinem Zeitpunkt als "bereites Mittel" zur Bestreitung der Bestattungskosten zur Verfügung.

3. Der Sozialhilfeträger muss einen Erbverzicht als zivilrechtliches Gestaltungsrecht des Hilfesuchenden nicht in jedem Fall zu Lasten der Allgemeinheit gänzlich hinnehmen (Anschluss an LSG München vom 30.7.2015 - L 8 SO 146/15 B ER). Zu prüfen ist dann, ob von dem Hilfesuchenden unter sittlichen Aspekten erwartet werden muss, dass dieser vor der Inanspruchnahme von Sozialhilfe einen ihm angetragenen oder angefallenen Vermögenserwerb wahrnimmt. Eine solche Prüfung muss aber zurückhaltend und unter Beachtung bestehender gesetzlicher Wertungen wie den Vorschriften zum Einkommens- und Vermögenseinsatz erfolgen.

 

Tenor

Der Bescheid vom 26. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Mai 2015 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Bestattungskosten für J. Kä. in Höhe von 2.610,50 € aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme von Kosten für die Bestattung ihres Bruders J. Kä. in Höhe von 2.610,50 € aus Mitteln der Sozialhilfe.

Der Bruder der 1951 geborenen Klägerin verstarb am 07.11.2014. Die Klägerin ist geschieden und bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von monatlich 762,56 € (Stand Oktober 2014), eine Zusatzrente des Kommunalen Versorgungsverbands Baden-Württemberg von monatlich 56,32 € sowie von der Stadt E. Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe - (SGB XII) in Höhe von monatlich 78,28 € (Stand November 2014). Als Kosten der Unterkunft berücksichtigt die Stadt E. bei der Hilfeberechnung monatliche Aufwendungen von 330,13 € für die Kaltmiete zzgl. 65,00 € monatlich für Kalt-Nebenkosten und weitere 44,00 € Heizkosten (Bescheid vom 16.10.2014). Die Klägerin ist außerdem als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 anerkannt; weiter sind ihr die Nachteilsausgleiche “G„ und “B„ zuerkannt (Bescheid des Landratsamts K. vom 07.01.2015).

Am 09.12.2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag, die ihr aus Anlass der Bestattung ihres Bruders angefallenen Kosten aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen. Hierzu legte sie die Rechnung des Bestattungsinstituts der Stadt K. über 1.148,50 € sowie den Gebührenbescheid des Friedhofs- und Bestattungsamts der Stadt K. über weitere 1.462,00 € vor. Die Bestattungskosten könne sie nicht aus eigenen finanziellen Mitteln begleichen. Mit Schreiben vom 12.12.2014 forderte die Beklagte die Klägerin auf, Angaben zum Wert des Nachlasses ihres verstorbenen Bruders zu machen und hierzu entsprechende Unterlagen vorzulegen. Am 08.01.2015 beantragte die Klägerin deshalb beim Nachlassgericht die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses zur Vorlage bei der Beklagten. Das Notariat 8 - Nachlassgericht - K. teilte der Beklagten mit, die Klägerin sei infolge Erbausschlagung nicht Erbin auf Ableben ihres Bruders geworden. Sie hafte deshalb nicht für Nachlassverbindlichkeiten und habe auch kein berechtigtes Interesse an der Errichtung eines Nachlassverzeichnisses (Schreiben vom 16.01.2015). Durch Bescheid vom 26.03.2015 lehnte die Beklagte die Übernahme der Bestattungskosten aus Sozialhilfemitteln mit der Begründung ab, die Klägerin habe vor der Gewährung von Sozialhilfeleistungen vorrangig den Nachlass zur Bestreitung der Bestattungskosten einzusetzen. Dessen Wert habe sie weder angegeben noch nachgewiesen. Damit lasse sich nicht feststellen, ob ein sozialhilferechtlicher Bedarf bestehe.

Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin vor, sie habe das Erbe auf Ableben ihres Bruders ausgeschlagen und deshalb keine Möglichkeit, Angaben zum Nachlasswert zu machen. Die Erstellung eines von ihr beantragten Nachlassverzeichnisses habe das Nachlassgericht abgelehnt. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück: Die Klägerin habe trotz entsprechenden Hinweises über den vorrangigen Einsatz des Nachlasswertes zur Bestreitung der Bestattungskosten die Erbschaft ausgeschlagen und die Bestattung in Auftrag gegeben, ohne sich Klarheit über den vorhandenen Nachlasswert zu verschaffen. Deshalb sei ein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen, denn andernfalls werde die Beklagte zum Ausfall...

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