Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Untätigkeitsklage. Verfahrensgebühr. Nichtanwendbarkeit des verminderten Gebührenrahmens der Nr 3103 RVG-VV. fiktive Terminsgebühr. Ermittlung der "billigen" Gebühren nach dem Kieler Kostenkästchen. Kosten des Erinnerungsverfahrens

 

Orientierungssatz

1. Bei der Untätigkeitsklage handelt es sich um eine von der sonstigen Tätigkeit des Rechtsanwalts im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren unabhängige Tätigkeit mit der Folge, dass für den abgesenkten Gebührenrahmen der Nr 3103 RVG-VV kein Raum besteht.

2. Zum Anfall einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr 3106 RVG-VV bei unstreitig erledigter erfolgreicher Untätigkeitsklage.

3. Zur Ermittlung der "billigen" Gebühren gem § 14 Abs 1 RVG nach dem Kieler Kostenkästchen.

4. Für das Erinnerungsverfahren sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tenor

Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Kiel in dem Verfahren S 36 AS 66/10 vom 02.07.2010 wird geändert.

Die dem Erinnerungsführer von dem Erinnerungsgegner zu erstattenden außergerichtlichen Kosten werden auf 202,30 € festgesetzt.

Die festgesetzten Kosten sind wie im angefochtenen Bescheid ausgesprochen zu verzinsen.

Das Verfahren ist kostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I. Der Erinnerungsführer - vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten - hatte am 17.01.2010 beim Sozialgericht Kiel Untätigkeitsklage erhoben. Gerügt war eine bislang nicht erfolgte Entscheidung über einen mit Schreiben vom 24.09.2009 eingelegten Widerspruch. Das Verfahren endete gütlich durch Anerkenntnis einschließlich eines Kostenanerkenntnisses.

Mit Antrag vom 08.06.2010 beantragte der Erinnerungsführer die Festsetzung der anwaltlichen Vergütung wie folgt:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV-RVG

80,-- €

Terminsgebühr, Nr. 3106 VV-RVG

200,-- €

Postpauschale, Nr. 7002 VV-RVG

20,-- €

19 % Umsatzsteuer (7008 VV-RVG)

57,-- €

Gesamt

357,-- €

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 02.07.2010 die Terminsgebühr komplett ab mit der Begründung, der Erlass des begehrten Verwaltungsaktes und die anschließende Erledigungserklärung stelle kein angenommenes Anerkenntnis dar. Den zu erstattenden Betrag setzte sie nach entsprechender Reduzierung der Umsatzsteuer insgesamt auf 119,-- € fest.

Hiergegen hat der Erinnerungsführer mit Schriftsatz vom 06.07.2010 Erinnerung eingelegt, mit der er sich gegen die Absetzung der Terminsgebühr wendet.

Der Erinnerungsgegner hält die Festsetzung für zutreffend.

II. Die Erinnerung ist zulässig.

Nach § 197 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) setzt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Gerichts des ersten Rechtszuges auf Antrag der Beteiligten oder ihrer Bevollmächtigten den Betrag der zu erstattenden Kosten fest. Nach § 197 Abs. 2 SGG kann gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden. Die Monatsfrist ist eingehalten worden.

Die Erinnerung ist auch begründet.

anwendbare Gebührenvorschriften:

Die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bemisst sich nach dem RVG (§1 Abs. 1 Satz 1 RVG). In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen - wie im vorliegenden Fall - das Gerichtskostengesetz nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG). Die Höhe der Vergütung bestimmt sich nach dem Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 zum RVG (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RVG).

Im Fall der Untätigkeitsklage ist die Verfahrensgebühr nach der Nr. 3102 VV-RVG anzusetzen. Bei der Untätigkeitsklage handelt es sich um eine von der sonstigen Tätigkeit des Rechtsanwalts im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren unabhängige Tätigkeit mit der Folge, dass für den abgesenkten Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV-RVG kein Raum besteht.

Die Terminsgebühr nach der Nr. 3106 VV-RVG ist als fiktive Terminsgebühr ansetzbar. Dieser Ansatz bei einer Untätigkeitsklage wird nicht einheitlich beurteilt. Es wird zum Teil die Auffassung vertreten, der bloße Erlass des begehrten Verwaltungsaktes stelle kein Anerkenntnis im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG dar (vgl. Kostenbeamtin des Sozialgerichts Kiel im angefochtenen Beschluss mwN, insbesondere LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.05.2008 - L 19 B 24/08 AS - bzw. aktuell vom 09.03.2011 - L 7 B 255/09 AS -). Dieser Auffassung schließt sich die Kostenkammer des Sozialgerichts Kiel nicht an. Auch nach Erlass des mit der Untätigkeitsklage begehrten Bescheides bzw. Widerspruchsbescheides tritt keine automatische Erledigung des Rechtsstreits ein. Eine nach Ablauf der Sperrfrist des § 88 SGG erhobene Klage ist regelmäßig dem ersten Anschein nach begründet. Falls der Erinnerungsgegner in der Klagerwiderung einen Klagabweisungsantrag stellt und zur Überzeugung des Gerichts darstellen kann, warum ein hinreichender Grund für die Nichtbescheidung vorliegt, kann das Gericht das Verfahren unter Fristsetzung für die Bescheidung entsprechend § 88 Abs 1 Satz 2 SGG aussetzen. Erlässt der Erin...

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