Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. elektronischer Rechtsverkehr. elektronisches Empfangsbekenntnis. beA-Inhaber. Zurechnung der Abgabe des Empfangsbekenntnisses. Beweiskraft. Entkräftung des Vollbeweises. weitere Aufklärung durch das Gericht
Leitsatz (amtlich)
1. Der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfaches muss sich die ohne seine Kenntnis erfolgte Abgabe eines elektronischen Empfangsbekenntnisses durch seine Kanzlei zurechnen lassen, wenn er die Abgabe unter Verstoß gegen die Sicherheitsanforderungen des § 26 Abs 1 RAVPV ermöglicht hat.
2. Der durch das elektronische Empfangsbekenntnis erbrachte Vollbeweis der Zustellung kann nur dann entkräftet werden, wenn ein Sachverhalt vorliegt, nach dem unter Berücksichtigung der Sicherheitsanforderungen des § 26 RAVPV eine Verantwortung des Inhabers des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs für die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses ohne Zweifel ausgeschlossen ist. Wird ein solcher Sachverhalt nicht vorgetragen, ist das Gericht nicht zu weiterer Aufklärung verpflichtet, da die maßgeblichen Umstände allein in der Sphäre des Inhabers des besonderen elektronischen Anwaltspostfaches liegen.
Tenor
Die Gegenvorstellung der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 29.01.2024 wird als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
Mit Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 29.01.2024 wurde der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgewiesen.
Über die Zustellung an den Klägerbevollmächtigten liegt ein auf den 01.02.2024 datiertes elektronisches Empfangsbekenntnis aus dem besonderen Anwaltspostfach des Klägervertreters vor.
Gegen den Beschluss vom 29.01.2024 legten die Kläger am 28.02.2024 Beschwerde und Gegenvorstellung ein. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 01.03.2024 auf eine Verfristung der Gegenvorstellung teilte der Klägervertreter am 03.03.2024 mit, ihm persönlich sei die PKH-Entscheidung des Gerichts erst am 28.02.2024 bekannt geworden. Das eEB sei nicht durch ihn, sondern von seiner Mitarbeiterin H abgegeben worden. Auf deren Kenntnisnahme komme es wohl aber nicht an.
II.
Die Gegenvorstellung war zu verwerfen, denn sie ist unzulässig.
Die Gegenvorstellung setzt die Bezeichnung einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder des Willkürverbots voraus ( LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.05.2014, L 2 AS 11/14 B) und ist nur zulässig, wenn der Antragsteller eine Verletzung des Willkürverbots nach Artikel 3 Abs. 1 GG oder von Verfahrensgrundrechten schlüssig darlegt, die nicht von der gesetzlich vorgesehenen Anhörungsrüge umfasst sind ( LSG Nordrhein-Westfalen vom 04.07.2013, L9 SF 116/13 G, Rn. 3 mwN) und die Gegenvorstellung in entsprechender Anwendung der Vorgaben zum gesetzlich geregelten Rechtsbehelf der Anhörungsrüge innerhalb einer Frist von 2 Wochen erhoben wird ( BSG vom 26.02.2021, B 5 SF 1/21 C, Rn. 4 mwN).
Unabhängig von der Frage des Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen mangelt es vorliegend bereits an der fristgemäßen Einlegung.
Der PKH-Beschluss vom 29.01.2024 wurde dem Klägervertreter am 01.02.2024 zugestellt. Die 2-Wochenfrist lief damit am 15.02.2024 ab. Die Gegenvorstellung ging jedoch erst am 28.02.2024 bei Gericht ein.
Eine spätere Zustellung ergibt sich nicht aus dem Vortrag des Klägervertreters vom 03.03.2024.
Entscheidend für eine wirksame Zustellung ist, dass das in Zustellabsicht übersandte Schriftstück vom Empfänger mit dem Willen entgegengenommen wird, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen ( BSG vom 14.07.2022, B 3 KR 2/21 R, Rn. 9 mwN).
Im Falle des Postweges wird gem. § 63 SGG, § 175 ZPO der Nachweis durch das mit Datum und Unterschrift des Adressaten versehene Empfangsbekenntnis, das an das Gericht zurückzusenden ist, erbracht (vgl. a.a.O.).
Bei der elektronischen Übersendung regelt § 63 SGG i.V.m. § 173 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 ZPO, dass die elektronische Zustellung u.a. an Rechtsanwälte durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis nachgewiesen wird, das auf einem sicheren Übermittlungsweg an das Gericht zu übermitteln ist.
Hierbei erbringt das auf einem sicheren Übermittlungsweg übermittelte elektronische Empfangsbekenntnis, ebenso wie das in Schriftform unterschriebene auf dem Postweg zurückgesandte Empfangsbekenntnis, für das § 416 ZPO gilt, den Vollbeweis für die Entgegennahme des darin bezeichneten Dokuments und für den Zeitpunkt der Entgegennahme.
Das auf den 01.02.2024 datierte elektronische Empfangsbekenntnis ist auf einem sicheren Übermittlungsweg, nämlich aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (BeA) des Klägervertreters, an das Gericht übermittelt worden. Das BeA ist ein sicherer Übermittlungsweg ( §§ 31a Abs. 1,31b BRAO, § 19 Abs. 1 RAVPV).
Das eEB erbringt damit den Vollbeweis der wirksamen Zustellung an den Klägervertreter.
Wer diese Wirkung nicht gegen sich gelten lassen will, muss sie in dem Sinne vollständig entkräften, dass die Möglichkeit, die Angaben könnten richtig sein, ausgeschlossen ist (BSG, a.a.O., Rnrn. 10, 16; OVG Lüne...