Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Versicherungspflicht. Versicherungsfreiheit. Gesellschafter-Geschäftsführerin. keine Rechtsmacht. maßgeblicher wirtschaftlicher Einfluss. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Im Einzelfall kann eine Gesellschafter-Geschäftsführerin, die nach ihren satzungsmäßigen Rechten keinen maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft hat, selbstständig tätig sein, wenn im Übrigen ein volles unternehmerisches Risiko bzw eine volle unternehmerische Chance gegeben ist.
Orientierungssatz
Az beim LSG: L 16 R 295/14
Tenor
I. Der Bescheid vom 5.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2012 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Klägerin zu 1. ihre Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführerin der Klägerin zu 2. in der Zeit vom 1.1.2011 bis 11.10.2011 selbstständig ausgeübt hat und keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu 1. und zu 2.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den versicherungsrechtlichen Status der Klägerin im Hinblick auf ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen in der Zeit vom 1.1.2011 bis zum 11.10.2011 und um die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung.
Die 1964 geborene Klägerin zu 1. beantragte am 20.5.2011 bei der Beklagten die Feststellung, dass eine Beschäftigung im Sinne von § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV - nicht vorliegt. Die Klägerin ist seit dem 1.1.2011 Gesellschafter-Geschäftsführerin der Klägerin zu 2. . Die Klägerin zu 1. ist für den Unternehmensbereich "Internationales Profiling und Marketing-Kampagnen", der Mit- und Mehrheitsgesellschafter C. (Anteil: 75 %) für die "Lead-Generierung" zuständig, das heißt beide Geschäftsführer verantworten jeweils einen eigenständigen Geschäftsbereich.
Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin zu 2. mit dem Unternehmensgegenstand "Anbieten von Marketing- und Vertriebsberatung" wurde mit notariellem Vertrag vom 9.9.2009 neu gefasst. Die Klägerin zu 1. hält nach dem Gesellschaftsvertrag (nunmehr: GV) einen Anteil von 25 %, Herr C. einen Anteil von 75 % des Stammkapitals in Höhe von 40.000 €. Die Klägerin zu 1. ist mit Herrn C. nicht verwandt oder verschwägert. Gemäß § 6 GV kann jedem Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss die Befugnis erteilt werden, die Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit sich selbst oder als Vertreter eines Dritten uneingeschränkt zu vertreten. Gemäß Handelsregisterauszug vom 11.2.2014 sind beide Geschäftsführer einzelvertretungsberechtigt.
Die Gesellschafterversammlung ist nur beschlussfähig, wenn mindestens 75 % des Stammkapitals anwesend oder vertreten sind. Ist dies nicht der Fall, so ist eine neue Gesellschafterversammlung zu berufen, die ohne Rücksicht auf die Höhe des erschienenen oder vertretenen Stammkapitals beschlussfähig ist, § 8 GV. Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, § 7 GV. Gemäß § 20 GV gelten die gesetzlichen Bestimmungen, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes geregelt. Die Klägerin zu 1. konnte im streitgegenständlichen Zeitraum nicht durch in der Satzung festgeschriebene Sonderrechte Gesellschaftsbeschlüsse herbeiführen oder verhindern. Sie gewährte der Klägerin zu 2. keine Darlehen oder übernahm Bürgschaften für diese.
Die Tätigkeit der Klägerin zu 1. ist im Anstellungsvertrag vom 10.1.2011 (nunmehr: AV) geregelt. Dieser wurde für die Beigeladene von Herrn C. unterzeichnet. Der unbefristete Vertrag kann mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten gekündigt werden. Die Bestellung der Klägerin zu 1. zur Geschäftsführerin kann durch Beschluss der Gesellschafterversammlung jederzeit widerrufen werden; der Widerruf gilt dann als Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt, § 1 Abs. 1 und Abs. 2 AV. Die Klägerin zu 1. hat für die im Gesellschaftsvertrag als zustimmungspflichtig bestimmten Geschäfte (§ 20 Abs. 1 GV) die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen. Im übrigen ist sie in ihren Handlungen nicht eingeschränkt, § 2 Abs. 2 AV. Sie führt die Geschäfte jedoch nach Maßgabe der Gesetze, Weisungen der Gesellschafterversammlung und des Gesellschaftsvertrags unter Berücksichtigung des AV mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns aus, § 2 Abs. 3 AV. Die Klägerin zu 1. ist einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch befreit, § 2 Abs. 4 AV. Sie ist befugt, selbstständig Personal einzustellen und zu entlassen, § 2 Abs. 5 AV.
Die Klägerin zu 1. erhielt im streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 1.1.2011 nach der ursprünglichen Vertragsfassung ein monatliches Gehalt von 5.000 €. Mit Ergänzungsvertrag vom 2.9.2011 wurde der AV dahingehend abgeändert, dass die Klägerin zu 1. rückwirkend zum 1.1.2011 ein variables Gehalt in Höhe von einem Drittel des Projektertrags aus den von der Gesch...