Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung als Zuschuss bzw. als Darlehen - Verwertbarkeit eines Grundstücks - Schonvermögen
Orientierungssatz
1. Nach § 9 Abs. 1 SGB 2 ist auch derjenige hilfebedürftig, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde. Diese erweiternde Fiktion der Hilfebedürftigkeit führt aber gemäß § 24 Abs. 5 SGB 2 zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Weg der Darlehensgewährung (BSG Urteil vom 24. 5. 2017, B 14 AS 16/16 R).
2. Ab welchen Flächen Grundstücke nicht mehr angemessen sind, ist höchstrichterlich nicht geklärt. Bei einer Grundstücksgröße von 500 qm im städtischen und von 800 qm im ländlichen Bereich ist noch von einer angemessenen Grundstücksgröße auszugehen. In einem solchen Fall kann vorhandenes Grundstücksvermögen als Schonvermögen der Hilfebedürftigkeit nicht entgegengehalten werden.
3. Nur wenn prognostisch eine Verwertung innerhalb des Bewilligungszeitraums möglich ist, der Verwertungsgegenstand aber nicht sofort verwertet werden kann, liegt Hilfebedürftigkeit vor, weshalb dann ein Anspruch auf Darlehensleistungen besteht. Anderenfalls sind dem Hilfebedürftigen Leistungen als Zuschuss und nicht als Darlehen zu bewilligen.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seiner mit dem Bescheid vom 19. November 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Januar 2020 verlautbarten sozialverwaltungsbehördlichen Ablehnungsentscheidung verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 passive Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) als Zuschuss zuzuerkennen.
Der Beklagte hat der Klägerin die ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten.
Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 als Zuschuss.
Die im November 1957 geborene Klägerin und ihr im März 1954 geborener Lebensgefährte sind je zur Hälfte Eigentümer eines Hausgrundstückes, das mit einem unterkellerten Einfamilienhaus (Erd- und Dachgeschoss) bebaut ist, das seit der Fertigstellung in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts von beiden gemeinsam bewohnt wird. Das Grundstück besteht aus zwei Flurstücken mit insgesamt 875 Quadratmetern (Flur X, Flurstück XX: 494 Quadratmeter, Flur 2, Flurstück XY: 381 Quadratmeter). Die Wohnfläche des Hauses beträgt nach Auffassung des Beklagten mindestens 116,24 Quadratmeter, wobei er hierzu auch einen im Keller befindlichen, voll möblierten, 21,47 Quadratmeter großen Raum zählt, in dem der Lebensgefährte der Klägerin seinen täglichen Mittagsschlaf abhält. Der Lebensgefährte bezog - unter Zugrundelegung eines am 29. Januar 2014 eingetretenen Versicherungsfalls (ein unter 3 Stunden täglich herabgesunkenes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) - eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von März 2017 bis November 2019 (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vom 28. März 2017), deren Nettozahlbetrag im streitigen Zeitraum monatlich 646,36 Euro betrug; seit Dezember 2019 bezieht er eine Altersrente.
Den von der Klägerin am 22. August 2019 gestellten Antrag, ihr ab dem 01. Oktober 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als Zuschuss zu gewähren, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 19. November 2019 für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 31. März 2020 mit der Begründung ab, das Vermögen übersteige den Grundfreibetrag. Das selbstgenutzte Hausgrundstück unterfalle nicht dem Schutz des § 12 Abs 3 S 1 Nr 4 SGB II. Die Gesamtwohnfläche betrage 150,73 Quadratmeter, die Angemessenheitsgrenze betrage bei zwei Personen 90 Quadratmeter. Das selbstgenutzte Hausgrundstück sei von unangemessener Größe und verwertbar. Es bestehe kein Anspruch auf Arbeitslosengeld II als Zuschuss. Der Klägerin seien indes Leistungen als Darlehen zu gewähren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06. Januar 2020 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 06. Dezember 2019 als unbegründet zurück. Die tatsächliche Wohnfläche betrage 116,24 Quadratmeter und liege damit über der Angemessenheitsgrenze. Der vom Lebensgefährten der Klägerin zum Mittagsschlaf genutzte Raum sei voll zu berücksichtigen. Die Grundstücksfläche sei hingegen angemessen. Der Wert des Grundstücks sei anhand der überschlägigen Wertermittlung der Geschäftsstelle des Gutachterausschusses vom 10. April 2018 mit 115.500,00 Euro zu bestimmen. Hiervon seien die auf dem Grundstück lastenden dinglichen Belastungen abzuziehen, sodass sich ein Grund...