Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung- Anordnungsanspruch. Asylbewerberleistung. Grundleistung. Anspruchseinschränkung. Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Staates für die Durchführung des Asylverfahrens. Verfassungsmäßigkeit. Folgenabwägung
Leitsatz (amtlich)
Aufgrund erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken an der Eingriffsermächtigung des § 1a Abs 7 AsylbLG in den grundrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (aus Art 1 iVm Art 20 Abs 1 GG), der durch den Gesetzgeber in den §§ 3, 3a AsylbLG ausgestaltet worden ist, ist der Leistungsträger aufgrund einer Folgenabwägung im Wege der einstweiligen Anordnung zu Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu verpflichten.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet - vorläufig und vorbehaltlich einer anderweitigen Entscheidung in der Hauptsache -, dem Antragsteller für die Zeit ab Antragstellung bei Gericht am 24.9.2020 bis zu seiner Ausreise oder Abschiebung, längstens bis zum 15.3.2021 zusätzlich zu den bewilligten Sachleistungen Barleistungen i.H.v. 139 € und Gutscheinleistungen i.H.v. 33,93 € monatlich zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt ungekürzte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz - AsylbLG - von der Antragsgegnerin.
Der am C. geborene Antragsteller ist liberischer Staatsangehöriger. Er ist am 13.3.2020 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Seinen unter dem 1.4.2020 gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - BAMF - mit Bescheid vom 31.7.2020 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an. Zur Begründung führte es aus, dass die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung Nummer 6 104/2013 des europäischen Parlamentes und des Rates (Dublin III-VO) vorliege. Am 20.5.2020 sei ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Italien gerichtet worden. Italien habe sich nicht fristgerecht erklärt. Damit sei Italien für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Hiergegen hat der Kläger unter dem 13.08.2020 Klage vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg erhoben (Az. 6 A 2172/20), die - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden ist. Mehrere versuchte Überstellung sind bislang gescheitert (15.10.2020 und 5.11.2020). Die italienischen Behörden verlangen für eine Überstellung, dass zuvor ein negativer Covid 19-Test (nicht älter als 72 Stunden vor Überstellung) durchgeführt worden ist. Ein neuerer Termin zur Überstellung steht derzeit nicht fest.
Mit Bescheid vom 19.3.2020 gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller für die Zeit ab dem 16.3.2020 bis zum 30.6.2020 Leistungen gem. §§ 3, 3a AsylbLG in Form von Sachleistungen für seinen Bedarf an Ernährung, Unterkunft und Heizung und in Form von Wertgutscheinen i.H.v. insgesamt 42 € für seinen Bedarf an Bekleidung und Gesundheitspflege sowie für seinen notwendigen persönlichen Bedarf als Bargeldleistungen i.H.v. 139 € monatlich. Er erhielt zudem nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragsgegnerin bei Ankunft einen zusätzlichen Bekleidungsgutschein i.H.v. 40 €.
Nach einer Anhörung gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 3.9.2020 ab dem 16.9.2020 bis zu seiner Ausreise oder Abschiebung, längstens bis zum 15.3.2021, eingeschränkte Leistungen nach § 1 a Abs. 7 AsylbLG als Sachleistung für den Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung sowie Gesundheits- und Körperpflege und Leistungen im Falle von Krankheit bei vorliegender Notwendigkeit nach § 4 AsylbLG. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Voraussetzungen für eine Einschränkung des Anspruches nach § 1a Abs. 7 AsylbLG erfüllt seien. Sie wies darauf hin, dass, soweit im Einzelfall besondere Umstände vorlägen, der Bedarf an Bekleidung und Schuhe gewährt werden könne. Der Bedarf an Gesundheitspflege wird nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin durch Ausgabe von Gutscheinen für rezeptfreie Medikamente und pharmazeutische Erzeugnisse gewährt. In der Unterkunft ist WLAN kostenlos nutzbar.
Unter dem 24.9.2020 hat der Antragsteller gegen den Bescheid vom 3.9.2020 Widerspruch erhoben und das Sozialgericht Oldenburg um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung macht er die Verfassungswidrigkeit der Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG geltend.
Er beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ihm ungekürzte Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie weist ergänzend darauf hin, dass sie im Rahmen der Gesetzesbindung im Falle des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzung des § 1a Abs. 7 AsylbLG lediglich eingeschränkte Leistungen gewähren kann und muss. Die eingeschränkte Leistungsgewährung sei jedoch auch nicht verfassungswidrig und ein Ab...