Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei längerer stationärer Unterbringung. Begriff der stationären Einrichtung. Justizvollzugsanstalt. Addition von Unterbringungszeiten in unterschiedlichen Einrichtungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer Justizvollzugsanstalt handelt es sich um eine stationäre Einrichtung iS des § 7 Abs 4 SGB 2 in der bis zum 31.7.2006 geltenden Fassung.

2. Eine versicherungspflichtige Tätigkeit während der Haftzeit innerhalb der Justizvollzugsanstalt berührt den Anspruchsausschluss aufgrund von § 7 Abs 4 SGB 2 aF nicht.

3. Unterbringungszeiten in unterschiedlichen stationären Einrichtungen sind jedenfalls dann zu addieren, wenn sie sich im Wesentlichen nahtlos aneinander anschließen, ohne dass es auf die verschiedenen Zwecke der jeweiligen Unterbringung ankommt.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II.

Der Kläger befand sich vom .... bis zum ... zum Vollzug einer zeitigen Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt ... Vom 21. Februar 2006 bis zum 8. August 2006 befand sich der Kläger in stationärer Therapie beim ... ... in ... Während seines Aufenthaltes in der Justizvollzugsanstalt war der Kläger immer wieder erwerbstätig. In diesen Zeiten wurden auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet.

Am 4. Januar 2006 reichte der Kläger zunächst einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bei der Agentur für Arbeit .... ein; sodann stellte er einen neuerlichen Antrag am 23. Februar 2006 bei der Beklagten, die für seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort ... örtlich zuständig ist.

Unter dem 9. März 2006 teilte die Beklagte dem Kläger formlos mit, dass sein Antrag derzeit nicht bearbeitet werden könne, da derjenige keine Leistungen nach dem SGB II erhalte, der für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Dabei würden die Haftzeit und die voraussichtliche Dauer der stationären Einweisung zusammengerechnet, weil der Betroffene während der gesamten Dauer der Unterbringung nicht erwerbstätig sein oder in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden könne. Mit Bescheid vom 17. März 2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen lägen nicht vor, weil der Kläger nicht erwerbsfähig sei.

Gegen das Schreiben vom 9. März 2006 legte der Kläger unter dem 24. März 2006 Widerspruch ein mit der Begründung, dass die Haftzeit nicht der Therapiezeit hinzuzurechnen sei.

Mit Bescheid vom 13. Juni 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Beklagte legte dabei den Widerspruch gegen das formlose Schreiben vom 9. März 2006 als gegen den Bescheid vom 17. März 2006 gerichtet aus. Zur Begründung führte sie aus, dass die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4 SGB II a.F. dem Sinn und Zweck der Vorschrift entsprechend so zu verstehen sei, dass die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten zu erbringen seien, in dem (prognostisch) zu erwarten sei, dass jemand wieder fähig sein werde, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein.

Mit der am ... erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Ziel, Leistungen nach dem SGB II zu erhalten, weiter. Er ist der Ansicht, dass Justizvollzugsanstalten nicht als stationäre Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung zu werten seien. Im vorliegenden Falle erscheine die Wertung einer Justizvollzugsanstalt als stationäre Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II a.F. besonders zweifelhaft, da er während seiner Haftzeit für die dort geleistete Arbeit Beiträge in die Arbeitslosenversicherung abgeführt habe. Im vorliegenden Fall sei schon daher eine andere Wertung zu treffen, weil er erwerbstätig gewesen sei, wenn auch nicht im freien Arbeitsmarkt. Zeiten, in denen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abgeführt würden, könnten keinesfalls mit Zeiten in einer stationären Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II a.F. zusammengezählt werden.

Der Kläger beantragt,

1. die Bescheide der Beklagten vom 9. März 2006 und vom 17. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 13. Juni 2006, Az.: 302 - BG-Nr. BG 0010588-W 385/06, aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung zu bewilligen und zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die mit Wirkung zum 1. August 2006 geänderte Fassung des § 7 Abs. 4 SGB II lediglich den bereits von Anfang an vorhandenen Willen des Gesetzgebers klarstelle, dass die Justizvollzugsanstalten als stationäre Einrichtungen zu werten seien. Eine eventuelle Erwerbstätigkeit des Klägers bei der JVA sei schon daher unerheblich, da eine solche nicht als unter den üblichen Bedingungen des a...

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