0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit Art. 5 Nr. 12 des Gesetzes für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz – GKV-FKG) v. 22.3.2020 (BGBl. I S. 604) mit Wirkung zum 1.4.2020 eingeführt worden. Die Norm gehört zum neugestalteten Haftungssystem, mit dem historisch entstandene Verwerfungen im Wettbewerb der Krankenkassen beseitigt werden. Die Präventionsorientierung des Haftungssystems wird deutlich gestärkt, indem die Handlungsmöglichkeiten und Instrumente des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) zur Vermeidung von Haftungsfällen deutlich erweitert werden. Die Regelung entspricht dem bisherigen § 265a. Der bis zum Inkrafttreten des GKV-FKG geltende Inhalt (Auseinandersetzung, Abwicklung der Geschäfte, Haftung bei Verpflichtungen, Dienstordnungsangestellte) ist entfallen.
1 Allgemeines
Rz. 2
Durch die Abschaffung der primären Haftung der Kassenart sind die wirtschaftlichen Anreize für freiwillige Hilfen innerhalb einer Kassenart entfallen. Die entsprechende Regelung in § 265b (alt) wurde mit dem 31.3.2020 gestrichen. Stattdessen wird mit § 164 das System der Haftungsprävention beim GKV-Spitzenverband gestärkt.
2 Rechtspraxis
2.1 Finanzielle Hilfen (Abs. 1)
Rz. 3
Zum Pflichtinhalt der Satzung des GKV-Spitzenverbandes gehören Bestimmungen über die Gewährung vorübergehender finanzieller Hilfen an Krankenkassen (Satz 1). Die Hilfen sind vorzusehen, um
- Vereinigungen von Krankenkassen zur Abwendung von Haftungsrisiken zu erleichtern oder zu ermöglichen oder
- die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit einer Krankenkasse zu erhalten.
Damit wird das System der Haftungsprävention beim GKV-Spitzenverband gestärkt (BT-Drs. 19/15662 S. 80). Der GKV-Spitzenverband kann nicht nur im Rahmen von Vereinigungen von Krankenkassen zur Abwendung von Haftungsrisiken finanzielle Hilfen gewähren, sondern auch dann, wenn dies für die Erhaltung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit einer Krankenkasse für einen begrenzten Zeitraum notwendig und sinnvoll ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Krankenkassen zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen kurzfristig und vorübergehend finanzielle Mittel benötigen. Eine dauerhafte Unterstützung ist ausgeschlossen.
Rz. 4
Haftungsrisiken ergeben sich aus der Schließung (§ 159) und der Insolvenz von Krankenkassen (§ 160). Die Hilfe muss notwendig sein ("für notwendig erachtet"). Einer Krankenkasse müssen Insolvenz oder Schließung drohen. Dies ist von der Aufsichtsbehörde und dem über die Hilfegewährung entscheidenden GKV-Spitzenverband prognostisch zu beurteilen. Die Hilfen müssen eine Vereinigung erleichtern oder ermöglichen. Die Hilfen sind somit sowohl bei einer freiwilligen Vereinigung (§ 155) als auch bei einer Vereinigung auf Antrag (zwangsweise Vereinigung, § 156) zu leisten. Die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der entstehenden Krankenkasse muss auf Dauer gewährleistet sein.
Rz. 5
Die einzelnen Voraussetzungen, unter denen die Hilfen gewährt werden, sind in der Satzung des GKV-Spitzenverbandes zu regeln (Satz 2). Dazu gehören neben den Voraussetzungen der Hilfen auch Aussagen über Umfang, Dauer, Finanzierung und Durchführung der Hilfen.
Rz. 6
Die Satzungsregelungen werden durch den Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes mit einer qualifizierten Mehrheit beschlossen (Satz 3). Erforderlich sind mindestens 70 % der Stimmen der Mitglieder des Verwaltungsrates. Die Stimmen werden bei der Abstimmung gewichtet (§ 217c Abs. 2 Satz 3; § 33 Abs. 3 Satzung des GKV-Spitzenverbandes).
2.2 Verfahren (Abs. 2)
Rz. 7
Der Antrag auf Gewährung einer finanziellen Hilfe kann ausschließlich von der Aufsichtsbehörde der notleidenden Krankenkasse gestellt werden (Satz 1). Bei bundesunmittelbaren Krankenkassen ist das Bundesamt für Soziale Sicherung (§ 90 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) zuständig. Bei landesunmittelbaren Krankenkassen ist die für die Sozialversicherung zuständige oberste Verwaltungsbehörde des Landes oder die von der Landesregierung durch Rechtsverordnung bestimmte Behörde (§ 90 Abs. 2 SGB IV) antragsberechtigt.
Rz. 8
Über den Antrag und die Gewährung der Hilfe entscheidet der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes (Satz 2). Die Zustimmung oder Beteiligung der hilfebedürftigen Krankenkasse oder der finanzierenden Krankenkassen ist nicht erforderlich.
Rz. 9
Die Hilfen können auch als Darlehen gewährt werden (Satz 3). Die finanzielle Hilfe kann als Zuschuss, als Darlehen oder als eine Kombination aus Zuschuss und Darlehen gewährt werden (§ 3 Abs. 1 Finanzhilfenordnung des GKV-Spitzenverbandes nach § 265 a SGB V). Finanzielle Hilfe, die als Darlehen gewährt wurde, kann in einen Zuschuss umgewandelt werden.
Rz. 10
Die Gewährung finanzieller Hilfen erfolgt als gebundener Verwaltungsakt des GKV-Spitzenverbandes (§ 31 SGB X), der mit Nebenbestimmungen versehen werden kann, die gesetzlich zugelassen sind (§ 32 Abs. 1 SGB X). Der Bescheid des GKV-Spitzenverbandes ist zu befristen und hat Auflagen zu enthalten (Satz 4). Die Auflagen dienen dazu, die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der notleidenden Krankenkasse zu sicher...