Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung. Minderung des Arbeitslosengeld II. Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregelungen
Leitsatz (amtlich)
1. Sanktionen nach § 31a Abs 1 SGB II begegnen keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken; sie verletzten insbesondere nicht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl BSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 19/14 R = SozR 4-4200 § 31a Nr 1).
2. Allein der Umstand, dass eine Kammer des SG Gotha hierzu eine abweichende Meinung vertritt (vgl SG Gotha vom 26.5.2015 - S 15 AS 5157/14) verleiht einem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung iS des § 144 Abs 2 Nr 1 SGG.
Normenkette
SGG § 144 Abs. 2 Nrn. 1-2; SGB II § 31a Abs. 1; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 22. Juni 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft.
Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen. Sie ist nach den §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG auch nicht ohne Zulassung statthaft, denn der maßgebliche Beschwerdewert von mehr als 750 Euro wird mit der begehrten Aufhebung der Sanktion in Höhe von 224,40 Euro monatlich für den Zeitraum Januar bis März 2012, insgesamt also 673,20 Euro nicht erreicht. Die Beschwerdefrist von einem Monat (§ 145 Abs. 1 S. 1 SGG) ist durch den Eingang der Beschwerdeschrift beim Landessozialgericht am 8. Juli 2015 gewahrt.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Die Berufung war nicht nach § 144 Abs. 2 SGG - im Urteil oder auf die Beschwerde durch das Landessozialgericht - zuzulassen. Dies kommt nur dann in Betracht, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Keine dieser Voraussetzungen ist hier gegeben.
Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne hat eine Sache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art aufwirft, die bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt vor, wenn das Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts berührt ist und zu erwarten ist, dass die Entscheidung dazu führen kann, die Rechtseinheitlichkeit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Für die Beurteilung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts abzustellen (vgl. den Senatsbeschluss vom 8. September 2011 - L 4 AS 855/11 NZB). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht mehr, wenn sie schon entschieden ist oder durch Auslegung des Gesetzes eindeutig beantwortet werden kann (BSG, Beschluss vom 30. September 1992 - 11 BAr 47/92, juris) oder wenn sie nicht entscheidungserheblich ist (BSG, Beschluss vom 4. Juli 2011 - B 14 AS 30/11 B, juris; BSG, Beschluss vom 16. November 1987, 5b BJ 118/87, juris). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche Bedeutung (BSG, Beschluss vom 26. Juni 1975 - 12 BJ 12/75, juris). Hinsichtlich Tatsachenfragen kann über § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG eine Klärung nicht verlangt werden.
Eine so verstandene grundsätzliche Bedeutung wurde klägerseits nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich eine grundsätzliche Bedeutung nicht aus einer möglichen Verfassungswidrigkeit von Sanktionen. Diesbezüglich verweist der Senat auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. April 2015 - (B 14 AS 19/14 R, juris), das Folgendes ausführt (Rn. 50 ff.): “Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Minderung des Alg II-Anspruchs der Klägerin nach §§ 32, 31a Abs 3, § 31b SGB II bestehen nicht. Obwohl der Senat sich der mit einer Minderung des Alg II-Anspruchs einhergehenden Auswirkungen, bei einer Minderung um 10 vH waren es damals 33,70 Euro pro Monat, bewusst ist, kann er sich die notwendige Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Regelungen nicht bilden (vgl zu den Voraussetzungen einer Vorlage nach Art 100 Abs 1 GG nur zB Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ Beschluss vom 4.6.2012 - 2 BvL 9/08 ua - BVerfGE 131, 88 RdNr 90 f mwN).
a) Das durch Art 1 Abs 1 GG begründete und nach dem Sozialstaatsgebot des Art 20 Abs 1 GG auf Konkretisierung durch den Gesetzgeber angelegte Grundrec...