Bundesverfassungsgericht verhandelt über Hartz IV-Sanktionen

Mit Leistungskürzungen haben die Jobcenter die Möglichkeit Hartz IV-Empfänger bei Pflichtverletzungen zu disziplinieren: Wer nicht kooperiert, bekommt weniger Geld. Ob solche Sanktionen verfassungswidrig sind oder nicht, beurteilt derzeit das Bundesverfassungsgericht.

Arbeitsminister Hubertus Heil hat die Sanktionen gegen Hartz IV-Bezieher, die Jobangebote ausschlagen oder Fördermaßnahmen ablehnen, vor dem Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvL 7/16) verteidigt. «Der Sozialstaat muss ein Mittel haben, die zumutbare Mitwirkung auch verbindlich einzufordern», sagte der SPD-Politiker am 15.1.2019 zum Verhandlungsauftakt in Karlsruhe. Dazu gehörten aus Sicht der Bundesregierung auch Leistungskürzungen.

Umfang der aktuellen Leistungskürzungen

Nach dem Prinzip «Fördern und Fordern» können die Jobcenter Hartz IV-Empfängern, die ihren Pflichten nicht nachkommen, den Geldhahn zudrehen. Bei Verfehlungen, die über einen verpassten Termin hinausgehen, droht die dreimonatige Kürzung der Leistungen um 30 Prozent des sogenannten Regelsatzes. Wer innerhalb eines Jahres mehrfach negativ auffällt, verliert 60 Prozent oder sogar das gesamte Arbeitslosengeld II, samt den Kosten für Unterkunft und Heizung.

Warum wird das Bundesverfassungsgericht aktiv?

Das Sozialgericht im thüringischen Gotha hält das für verfassungswidrig und hat ein Verfahren ausgesetzt, um die Vorschriften in Karlsruhe unter die Lupe nehmen zu lassen. In dem Fall musste ein Arbeitsloser mit 234,60 Euro weniger auskommen, weil er ein Jobangebot abgelehnt und Probearbeit verweigert hatte. .

Welche Effekte haben Sanktionen?

Die Anwältin des Klägers, Susanne Böhme, kritisierte, dass die Sanktionen oft nicht den gewünschten Effekt hätten. Resignation und Existenzangst stünden der Vermittlung eher entgegen. Der starre Zeitraum von drei Monaten sei demotivierend - es zahle sich nicht aus, sein Verhalten zu ändern. So stehe die Strafe im Vordergrund.

Bundesverfassungsgericht: Politischer Sinn wird nicht geprüft

Der neue Vizegerichtspräsident Stephan Harbarth betonte, dem Senat sei bewusst, dass die Thematik für viele Menschen in schwierigen Lebenslagen sehr wichtig sei und grundlegende Bedürfnisse betreffe. «Das nehmen wir ernst.» Gleichzeitig dämpfte er überzogene Erwartungen. Es gehe nicht um die Frage, ob Sozialleistungen mit einem Sanktionssystem politisch sinnvoll seien und erst recht nicht um die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Die politische Diskussion

14 Jahre nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu Hartz IV setzt sich Bundesarbeitsminister Heil derzeit in Berlin für eine Reform der Sanktionen ein. Als Vertreter der Bundesregierung halte er die Mitwirkungspflichten für verfassungsgemäß, sagte er in einer Verhandlungspause vor Journalisten. Das schließe aber nicht aus, das ein oder andere politisch weiterzuentwickeln. Heil will unter anderem die besonders scharfen Sanktionen für junge Menschen unter 25 Jahren abschaffen. In der großen Koalition hat das im Moment aber keine Chance, weil die Union eine solche Änderung nicht mittragen würde.

Beanstandet Karlsruhe die Sanktionen, würde das Änderungen erzwingen. Die Richter merkten mehrmals an, dass sie die einmütige Kritik aller gehörten Sozialverbände an dem System sehr ernst nehmen.

Gründe für Sanktionen

2017 verhängten die Jobcenter fast eine Million Sanktionen. Davon kann dieselbe Person mehrfach betroffen sein. In gut drei Viertel der Fälle hatten die Betroffenen einen Termin beim Jobcenter versäumt. Dafür werden die Leistungen um zehn Prozent gekürzt. Um diese Meldeversäumnisse geht es in dem Karlsruher Verfahren nicht, wie Harbarth klarstellte, sondern nur um die Streichungen ab 30 Prozent. Nach Auskunft der Regierung liegt die Sanktionsquote nur für diesen Bereich bei etwa 1 Prozent. Die Gesamtquote liegt bei 3,1 Prozent.

Der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, wies darauf hin, dass die Sanktionen über keinen Hartz IV-Empfänger unvorbereitet hereinbrächen. Gleich zu Beginn werde im Gespräch zur Eingliederungsvereinbarung auch über die Pflichten gesprochen.

Kritik an fehlender Flexibilität

Die Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstags, Monika Paulat, kritisierte, dass die Jobcenter keine Möglichkeit hätten, Sanktionen zu verkürzen oder wieder aufzuheben und im Einzelfall flexibel zu reagieren. Die Gesamtumstände würden erst im Verfahren vor den Sozialgerichten analysiert, aber nicht jeder habe die Kraft zu klagen. Vor den Gerichten wurden laut Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2016 in gut 38 Prozent der Fälle die Sanktionen aufgehoben.

Wie sieht der weitere Ablauf aus?

Die Richter beraten im Geheimen und arbeiten dann das Urteil aus. Es dürfte in einigen Monaten verkündet werden. Gibt es Beanstandungen, müsste das System zumindest in diesen Punkten nachgebessert werden.

dpa

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