Jobcenter muss erhöhte Mietkosten nach Sanktion gegen Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft tragen
In der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin lebten ihr minderjähriger und - zumindest zeitweise - ihr 22-jähriger Sohn. Sie bezogen 526,50 EUR SGB II-Leistungen für Unterkunfts- und Heizaufwendungen (tatsächliche Miet- und Nebenkosten). Dem 22-Jährigen wurden diese Leistungen v. 1.2. b. 30.4.2009 vollständig entzogen; vorausgegangen waren mehrere Sanktionen.
Für unter 25-Jährige wird bei wiederholten Pflichtverletzungen (z.B. Verweigerung zumutbaren Arbeitsaufnahme oder Ausbildung) das ALG II um 100 % gemindert (§ 31 Abs. 5 Satz 2 SGB II a.F.).
0 EUR für Unterkunftskosten für den volljährigen Sohn festgesetzt
Von Februar bis April 2009 bewilligte der SGB II-Träger die Leistungen der gesamten Bedarfsgemeinschaft neu. Dabei wurden bei der Klägerin und dem minderjährigen Sohn wie bisher ein Anspruch für Unterkunfts- und Heizaufwendungen nach dem "Kopfteilprinzip" in Höhe von jeweils 175,50 EUR (1/3 von den tatsächlichen Unterkunftskosten von 526,50 EUR) berücksichtigt. Der Anteil des volljährigen Sohns wurde jedoch mit "0 EUR" festgesetzt.
Mutter geht gegen „Mitsanktionierung“ vor
Der Sohn ging nicht gegen die Leistungskürzung vor. Aber: Die Klägerin (Mutter) und ihr minderjähriger Sohn klagten gegen die Leistungskürzung. Denn die tatsächlichen Mietkosten sollten nur noch zu 2 Dritteln übernommen werden. Sie wollten nicht für den Sohn „mitsanktioniert“ werden.
Weiterer Anspruch auf Unterkunfts- und Heizaufwendungen besteht
Das Bundessozialgericht (BSG) bestätigte am 23.5.2013 (B 4 AS 67/12 R) die zusprechenden Entscheidungen der Vorinstanzen. Die Klägerin und ihr minderjähriger Sohn können jeweils 87,75 EUR zusätzlich an Leistungen für Unterkunfts- und Heizaufwendungen beanspruchen. Denn durch den sanktionsbedingten Wegfalls des Anteils für die 3. Person haben sich die von ihnen tatsächlich zu tragenden Wohnungsaufwendungen erhöht. Dieser Bedarf ist nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu übernehmen. Eine nur anteilige Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung bei Wohnungsnutzung durch mehrere Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft ist nicht vorgesehen.
Vom Kopfteilprinzip kann abgewichen werden
Meist werden die Unterkunfts- und Heizaufwendungen unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufgeteilt. Bei Bedarf kann jedoch trotz gemeinsamer Nutzung einer Wohnung ausnahmsweise vom Kopfteilprinzip abgewichen werden – so auch in diesem Fall.
Ferner ist fraglich, ob der beklagte SGB II-Träger die Leistungen für den Sohn vollständig kürzen durfte. Einen möglichen Anspruch des Sohnes konnten die Klägerin und ihr minderjähriger Sohn jedoch nicht als "bereite Mittel" realisieren. In den streitigen 3 Monaten muss ihr erhöhter Bedarf daher durch weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung ausgeglichen werden.
Keine "Mithaftung" der Bedarfsgemeinschaft für Fehlverhalten eines Angehörigen
Obwohl durch diese Regelung Sanktionen teilweise ins Leere laufen, darf dies keine Bedeutung für die Individualansprüche der beiden Kläger haben. Die Klägerin ist durch die im SGB II vorgesehene Bedarfsgemeinschaft mit ihrem volljährigen Sohn verpflichtet, ihr Einkommen auch für ihn einzusetzen. Für ein nach dem SGB II sanktioniertes Fehlverhalten des volljährigen Sohnes muss sie jedoch nach dem SGB II faktisch nicht mithaften.
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