Arbeitsrechtliche Verstöße wirken auch auf Sozialversicherung

Immer wieder ist von Arbeitnehmern zu hören, die zu sittenwidrigen Konditionen arbeiten. So wurde z. B. kürzlich von einem Pizza-Service berichtet, der 1,59 EUR Stundenlohn zahlt. Werden solche Fälle bekannt, bittet auch die Sozialversicherung nachträglich zur Kasse.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Sittenwidrigkeit immer dann gegeben, wenn ein „auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung“ vorliegt. Dies besteht dann, wenn die Bezahlung nicht einmal zwei Drittel des in der Wirtschaftsregion üblichen Branchenlohns erreicht.

Aber auch weniger auffällige Sachverhalte, in denen Tarifansprüche missachtet oder „equal pay“-Ansprüche für Leiharbeitnehmer nicht beachtet werden, belasten die Sozialsysteme. Denn hier werden z. B. Harz IV-Leistungen zu Unrecht geleistet und Beiträge vorenthalten werden.

Sozialversicherungsträger stellen keine Arbeitsentgeltansprüche fest

Die Kompetenz und Zuständigkeit der SV-Träger beschränkt sich auf ihr Aufgabengebiet. Sie entscheiden deshalb nicht, ob dem Arbeitnehmer ein höheres Arbeitsentgelt zusteht. Die Höhe des Arbeitsentgelts wird einzelvertraglich oder durch Tarifvertrag festgestellt. Eine verbindliche Feststellung zur Sittenwidrigkeit bzw. Unzulässigkeit des gezahlten Arbeitsentgelts obliegt ausschließlich den Arbeitsgerichten (s. BAG, Urteil v. 22.4.2009 - 5 AZR 436/08).

Wann und wie reagieren die SV-Träger?

Die Sozialversicherungsträger reagieren abhängig von ihrer Zuständigkeit zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf derartige Vergehen. Die Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit erhalten bereits frühzeitig Hinweise auf fragwürdige Stundenlöhne, weil die Arbeitnehmer Aufstockungsleistungen zur Grundsicherung (Hartz IV) beantragen. Die Frage, ob der Arbeitgeber die Beschäftigung sozialversicherungsrechtlich richtig beurteilt und Beiträge in richtiger Höhe gezahlt hat, stellt sich hingegen in der Regel erst später.

Vorgehen der Arbeitsverwaltung

Die Arbeitsverwaltung geht daher mittlerweile vereinzelt dazu über, Arbeitnehmer bei der Durchsetzung ihres Entgeltanspruchs zu unterstützen. Sie verklagen die Arbeitgeber auf Rückzahlung  der Aufstockungsleistungen, mit denen der sittenwidrige Lohn auf Hartz IV-Niveau gehoben wurde. Jüngstes Beispiel ist eine erfolgreiche Klage des Jobcenters Uckermark bei dem Arbeitsgericht Eberswalde.

Wie verhält sich der Betriebsprüfdienst der Rentenversicherung?

Die Träger der Rentenversicherung prüfen spätestens alle 4 Jahre bei Arbeitgebern insbesondere die Richtigkeit von Beitragszahlungen und die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten, welche die Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu erfüllen haben.

Grundsätzlich gilt in der Sozialversicherung das Entstehungsprinzip. Dies bedeutet, dass der Anspruch auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag entsteht, wenn der Arbeitsentgeltanspruch entstanden ist. Entscheidend ist somit nicht, welches Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer gezahlt wurde, sondern auf welches er einen Anspruch hatte. Diese Entscheidung obliegt jedoch, wie bereits erwähnt, im Zweifelsfall dem Arbeitsgericht. Bei einer sittenwidrigen Entgeltzahlung setzt eine Beitragsnacherhebung durch den Betriebsprüfdienst somit voraus, dass eine rechtskräftige gerichtliche Feststellung der Angemessenheit des Arbeitsentgelts vorliegt. Gerichtsurteile zur Sittenwidrigkeit binden jeweils auch nur die Prozessparteien und gelten insofern auch nicht zwangsläufig für andere Beschäftigte, die vergleichbare Tätigkeiten ausüben. Offensichtliche Verstöße gegen branchenübliche Mindestlöhne werden vom Betriebsprüfdienst hingegen auch ohne arbeitsgerichtliche Einzelfallentscheidung geahndet.

Auswirkungen festgestellter Entgeltansprüche auf die Sozialversicherung

Sofern der verbindliche Anspruch auf Arbeitsentgelt besteht, wirkt sich dies rückwirkend sowohl auf die versicherungsrechtliche Beurteilung als auch die beitragsrechtliche Behandlung der Beschäftigung aus. So kann aus einer gemeldeten geringfügig entlohnten Beschäftigung nachträglich eine voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung werden. Für die ausstehenden Beiträge muss der Arbeitgeber alleine aufkommen, weil ein Rückgriffsrecht auf das Arbeitsentgelt des Arbeitsnehmers dann nicht mehr besteht (s. News  v. 26.09.2013).


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