Wann eine gewerbliche Infizierung bei ärztlichen Gemeinschaftspraxen eintritt
Ärztliche Gemeinschaftspraxen können ihren freiberuflichen Status verlieren und in vollem Umfang gewerblich werden, wenn sie neben ihren freiberuflichen Tätigkeiten auch gewerbliche Tätigkeiten ausüben (Abfärbe- oder Infektionstheorie des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG). Diese gewerbliche Infizierung führt unter anderem zur Gewerbesteuerpflicht des Gewinns bzw. Gewerbeertrag der Praxis.
Gewerbliche Infizierung bei integrierter Versorgung
Mit Verfügung vom 16.8.2016 weist die OFD darauf hin, dass die gewerbliche Infizierung auch durch die sog. integrierte Versorgung in Gemeinschafspraxen eintreten kann.
Hinweis: Bei der integrierten Versorgung wird zwischen Arzt und Krankenkasse vertraglich geregelt, dass die Kasse dem Arzt für die Behandlung der Patienten bestimmte Fallpauschalen zahlt, die sowohl die (freiberufliche) medizinische Betreuung als auch die (gewerbliche) Abgabe von Arzneien und Hilfsmitteln abdeckt (§§ 140a ff. SGB V).
Die OFD erklärt, dass der gewerbliche Anteil der Fallpauschalen bei Gemeinschaftspraxen zu einer gewerblichen Infizierung der gesamten Einkünfte führt (Auffassung der Vertreter der obersten Finanzbehörden der Länder).
Hilfsmitteleinsatz kann jedoch zur heilberuflichen Leistung gehören
Werden im Rahmen der integrierten Versorgung Hilfsmittel verwendet, ohne deren Einsatz die ärztliche Heilbehandlung nicht möglich wäre (z. B. Einsatz künstlicher Hüftgelenke oder Augenlinsen), ist der Hilfsmitteleinsatz nach der OFD-Verfügung jedoch nicht als gewerbliche Tätigkeit anzusehen, sodass er keine gewerbliche Infizierung bewirkt. Vielmehr ist die Verwendung der Hilfsmittel in diesem Fall ein Bestandteil der ärztlichen Gesamtleistung (einheitliche heilberufliche Leistung).
Bagatellgrenzen vermeiden gewerbliche Infizierung
Die OFD erklärt weiter, dass die Gesamttätigkeit einer Gemeinschaftspraxis aber erst dann gewerblich infiziert wird, wenn die originär gewerblichen Nettoumsatzerlöse
- eine Bagatellgrenze von 3 % der Gesamtnettoumsätze und zusätzlich
- den Betrag von 24.500 EUR im Veranlagungszeitraum übersteigen.
Diese Schwellenwerte hat der BFH mit Urteilen vom 27.8.2014 (VIII R 16/11; VIII R 41/11; VIII R 6/12) aufgestellt. Sie wurden mittlerweile von der Finanzverwaltung allgemein anerkannt, sodass die Geringfügigkeitsgrenzen über den Einzelfall hinaus für alle Gemeinschaftspraxen anwendbar sind.
Werden die Bagatellgrenzen überschritten, kann die gewerbliche Infizierung gleichwohl noch abgewendet werden, indem die gewerbliche Tätigkeit der Praxis auf eine andere (beteiligungsidentische) Schwesterpersonengesellschaft ausgelagert wird (sog. Ausgliederungsmodell).
Hinweis: Auch der Verkauf von Kontaktlinsen durch Augenärzte oder von Mundpflegeartikeln durch Zahnärzte kann als gewerbliche Tätigkeit dazu führen, dass die gesamte Tätigkeit der ärztlichen Gemeinschaftspraxis zum Gewerbebetrieb wird. Die Auslagerung der gewerblichen Tätigkeit auf eine Schwesterpersonengesellschaft wird von der Finanzverwaltung bei Gemeinschaftspraxen nur anerkannt, wenn sich die Tätigkeit der gewerblichen Gesellschaft eindeutig von der Tätigkeit der Gemeinschaftspraxis abgrenzen lässt (BMF, Schreiben v. 14.5.1997). Hierzu muss unter anderem der Gesellschaftsvertrag so gestaltet sein, dass die Gesellschaft wirtschaftlich, organisatorisch und finanziell unabhängig von der ärztlichen Gemeinschaftspraxis ist. Zudem müssen getrennte Aufzeichnungen und Bücher geführt, besondere Bank- und Kassenkonten eingerichtet und eigene Rechnungsformulare verwendet werden.
OFD Frankfurt a.M., Verfügung v. 16.8.2016, S 2241 A - 65 - St 213
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