Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Anhörungsrüge; keine Umdeutung einer Anhörungsrüge in Gegenvorstellung bei fachkundiger Vertretung
Leitsatz (NV)
1. Mit der Anhörungsrüge kann nur vorgebracht werden, das Gericht habe gegen den verbürgten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verstoßen. Sie dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in der Sache zu überprüfen.
2. Eine Umdeutung der von fachkundigen Prozessvertretern ausdrücklich als solche erhobenen Anhörungsrüge in eine Gegenvorstellung scheidet aus.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 133a, 128
Tatbestand
I. Die von H namens einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts --GbR-- (Klägerin), bestehend aus H und P , erhobene Klage wegen Umsatzsteuer-Rückerstattung (Az. des Finanzgerichts --FG-- 5 K 5451/03) wurde zurückgenommen. Nach Einstellung des Verfahrens beantragte P, der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller), unter Hinweis darauf, er hätte zu diesem Klageverfahren notwendig beigeladen werden müssen, Einsichtnahme in die Prozessakten dieses Verfahrens. Das FG lehnte den Antrag auf Akteneinsicht ab. Die hiergegen erhobene Beschwerde des Antragstellers hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 9. August 2005 V B 84/05 als unbegründet zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 27. Oktober 2005 hat der erkennende Senat die Kostenentscheidung dieses Beschlusses wegen offenbarer Unrichtigkeit berichtigt.
Gegen den Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der Anhörungsrüge nach § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Er beantragt, das Verfahren gemäß § 133a FGO fortzusetzen. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die Berichtigung sei zwar berechtigt, denn die Formulierung der Kostenentscheidung sei offensichtlich unzutreffend gewesen. Er rügt jedoch, die Entscheidung selbst sei rechtsfehlerhaft. Der Gegenstand sei falsch bezeichnet, weil der Antragsteller mit seiner Beschwerde die Beiladung durch das FG von Amts wegen habe erreichen wollen. Beschwerdegegner sei des Weiteren nicht das Finanzamt, sondern das FG Berlin, gegen das sich seine Beschwerde gerichtet habe. Fehlerhaft sei die Feststellung, der notwendig Beigeladene könne die Rücknahme der Klage nicht verhindern. Ihm, dem Antragsteller, sei das rechtliche Gehör verweigert worden, denn er hätte Akteneinsicht erhalten können, wenn er von Amts wegen beigeladen worden wäre. Er sei dadurch beschwert, dass er für eventuelle Kosten, die einer nichtexistierenden GbR auferlegt würden, gesamtschuldnerisch hafte.
Das Verfahren sei auch deshalb wieder aufzunehmen, weil er anlässlich der ihm in den Verfahren vor dem FG (Az. 9 B … und 9 B …) vom FG gewährten Akteneinsicht einen in den Akten abgehefteten Aktenvermerk mit dem formularmäßigen Aufdruck "Abzuheften in der Hinweisakte, die Gerichten nicht vorzulegen ist!" entdeckt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Anhörungsrüge ist ungeachtet der Zweifel an deren Zulässigkeit jedenfalls unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 133a Abs. 4 Satz 2 FGO), denn der vermeintliche Verfahrensverstoß liegt nicht vor.
1. Nach § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn
(1.) ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist
und
(2.) das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen (§ 133a Abs. 2 Satz 1 FGO). Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in § 133a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO genannten Voraussetzungen darlegen (§ 133a Abs. 2 Satz 6 FGO).
2. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 133a Abs. 1 Satz 1 FGO kann mit dem (außerordentlichen) Rechtsbehelf der Anhörungsrüge nur vorgebracht werden, das Gericht --im Streitfall der beschließende Senat-- habe im Rahmen der angegriffenen Entscheidung gegen den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) verstoßen (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, BFH/NV 2005, 1458, m.w.N.).
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verlangt von dem erkennenden Gericht vornehmlich, dass es die Beteiligten über den Verfahrensstoff informiert, ihnen Gelegenheit zur Äußerung gibt, ihre Ausführungen sowie Anträge zur Kenntnis nimmt und bei seiner Entscheidung in Erwägung zieht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Mai 2005 VII S 17/05, BFH/NV 2005, 1614, und in BFH/NV 2005, 1458; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Tz. 111; von Groll in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 96 Anm. 30; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz. 217, jeweils m.w.N.).
Der Antragsteller rügt, der Senat habe in der Sache fehlerhaft entschieden. Mit diesem Vorbringen kann er aber im Rahmen des § 133a FGO nicht gehört werden. Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, die angegriffene Entscheidung in der Sache in vollem Umfang nochmals zu überprüfen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. September 2005 V S 12, 13/05, BFH/NV 2006, 198, Zeitschrift für Steuern und Recht 2005, Heft 24, R 938; vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614).
3. Soweit der Antragsteller eine Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 134 FGO i.V.m. § 578 ff., 580 der Zivilprozessordnung --ZPO--) begehrt, fehlt es schon an einer schlüssigen Darlegung eines Wiederaufnahmegrundes (zu den Anforderungen vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 25. Februar 1992 IV K 1/91, BFHE 167, 287, BStBl II 1992, 625, unter 2. der Gründe, m.w.N.); denn inwiefern die Akten der vom Antragsteller bezeichneten Verfahren für das Verfahren V B 84/05 und das vorausgehende Verfahren vor dem FG (5 K 5451/03) von Bedeutung sein können, hat der Antragsteller nicht dargelegt. Im Übrigen hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 9. August 2005 (V B 84/05) die Auffassung des FG bestätigt, dass dem Antragsteller als im Verfahren 5 K 5451/03 nicht Beteiligten (§ 57 FGO) keine Akteneinsicht gewährt werden muss. Aus demselben Grund ist der Inhalt dieser Akten für den Antragsteller in diesem Verfahren ohne rechtliche Bedeutung.
4. Eine Umdeutung der von fachkundigen Prozessvertretern ausdrücklich als solche erhobenen Anhörungsrüge in eine Gegenvorstellung scheidet aus (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Juni 2005 III B 63/05, BFH/NV 2005, 2019, m.w.N.). Im Übrigen hat der Antragsteller keinen Sachverhalt vorgetragen noch ist ein solcher aus den Akten ersichtlich, der ausnahmsweise eine Gegenvorstellung eröffnen könnte, nämlich wegen eines Verstoßes gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) oder wegen einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 2019, m.w.N.). Insbesondere kann mit der Beschwerde gegen die Ablehnung der Akteneinsicht die Beiladung zu einem Klageverfahren nach Rücknahme der Klage nicht --wie der Antragsteller meint-- erreicht werden.
5. Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 133a Abs. 4 Satz 3 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 1514462 |
BFH/NV 2006, 1314 |