Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für Revisionszulassung wegen schwerwiegenden Rechtsfehlers
Leitsatz (NV)
1. Eine Revisionszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung kommt nicht schon dann in Betracht, wenn das angefochtene FG-Urteil im Ergebnis Zweifeln begegnet oder sogar eindeutig fehlerhaft ist. Erforderlich ist vielmehr, dass das Urteil unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht.
2. Ein solcher Rechtsfehler liegt nicht darin, dass das FG eine Billigkeitsmaßnahme mit der Begründung anordnet, ein deutsches Zivilgericht habe durch eine unzutreffende Entscheidung zur Entstehung oder Erhöhung der Steuer beigetragen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2; AO 1977 § 163; BGB § 839
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) aus Billigkeitsgründen von einer Steuerfestsetzung gegenüber der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) absehen musste.
Die Klägerin ist eine GmbH, deren Geschäftsanteile seit dem 1. Oktober 1992 sämtlich von der T-AG gehalten werden. Das Wirtschaftsjahr der Klägerin beginnt am 1. Oktober und endet am 30. September eines jeden Jahres.
Am 29. September 1993 schloss die Klägerin mit der T-AG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (EAV), der zum 1. Oktober 1992 wirksam werden sollte. Die Gesellschafterversammlung der Klägerin (am 10. November 1993) und die Hauptversammlung der T-AG (am 11. März 1994) stimmten dem EAV zu. Das zuständige Amtsgericht (AG) lehnte jedoch eine Eintragung des EAV in das Handelsregister ab, da er eine unzulässige Rückwirkung entfalte. Das dagegen gerichtete Rechtsmittel der Klägerin blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht (OLG) entschied, die Eintragungsvoraussetzungen hätten zwar im Hinblick auf § 14 Nr. 4 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1992 (StEntlG 1992) im Zeitpunkt der Anmeldung des EAV vorgelegen. Inzwischen sei aber die Eintragungsfrist verstrichen, weshalb die Eintragung nicht mehr erfolgen könne.
Schon vor der Entscheidung des OLG hatten die Klägerin und die T-AG vorsorglich einen weiteren EAV ("Ersatz-Vertrag") mit Wirkung zum 1. Oktober 1993 abgeschlossen, der am 28. September 1994 mit Wirkung zum Wirtschaftsjahr 1993/94 in das Handelsregister eingetragen wurde. Die Klägerin führte jedoch, von der Wirksamkeit des ursprünglichen EAV ausgehend, schon den Jahresüberschuss des Wirtschaftsjahres 1992/93 an die T-AG ab.
Das FA nahm im Anschluss an eine Außenprüfung an, dass für das Wirtschaftsjahr 1992/93 eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft zwischen der Klägerin und der T-AG nicht anerkannt werden könne, da der ursprüngliche EAV nicht im Handelsregister eingetragen worden sei. Es setzte auf dieser Basis gegenüber der Klägerin für das Streitjahr (1993) Körperschaftsteuer fest. Einen Antrag der Klägerin, die Steuer aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen, lehnte das FA ab.
Auf die daraufhin erhobene Klage verpflichtete das Finanzgericht (FG) das FA, die Körperschaftsteuer für das Streitjahr um 103 585,53 € (210 419 DM) niedriger festzusetzen. Es führte aus, der ursprüngliche EAV sei zwar mangels Eintragung nicht wirksam geworden. Dies sei jedoch ausschließlich auf die fehlerhafte Entscheidung des AG zurückzuführen. Die Festsetzung der sich hieraus ergebenden Mehrsteuer sei sachlich unbillig. Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht das FA geltend, dass die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.
Die Klägerin ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Das angefochtene Urteil weist keinen Rechtsfehler auf, der eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO rechtfertigt.
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist die Revision gegen ein finanzgerichtliches Urteil zuzulassen, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert. Dass im Streitfall eine Rechtsfortbildung geboten sei, wird vom FA nicht geltend gemacht. Deshalb ist hier nur die Frage der Revisionszulassung zwecks Sicherung der Rechtsprechungseinheit zu prüfen.
2. Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordert eine Zulassung der Revision zum einen im Fall der Divergenz i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO i.d.F. vor In-Kraft-Treten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (FGOÄndG 2) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567). Eine solche macht das FA im Streitfall ebenfalls nicht geltend. Zum anderen ist diese Variante des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO einschlägig, wenn das Urteil des FG auf einem so schwerwiegenden Fehler beruht, dass sein Fortbestand das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könnte (BFH-Beschluss vom 7. Juli 2004 VII B 344/03, BFHE 206, 226, BStBl II 2004, 896). Das ist dann der Fall, wenn sich die Entscheidung als objektiv willkürlich darstellt oder greifbar gesetzwidrig ist (BFH-Beschlüsse vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 28. Juli 2003 V B 72/02, BFH/NV 2003, 1597; Lange, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2002, 782). Dafür reicht es nicht aus, dass sie im Ergebnis Zweifeln begegnet oder sogar eindeutig fehlerhaft ist (BFH-Beschlüsse vom 25. November 2002 I B 2/02, BFH/NV 2003, 488; vom 11. Dezember 2002 IX B 124/02, BFH/NV 2003, 495, jeweils m.w.N.). Der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO ist vielmehr nur dann gegeben, wenn das Urteil unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich deshalb der Schluss aufdrängt, dass es auf sachfremden Erwägungen beruht (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25; Rüsken, DStZ 2000, 815, 821).
3. Im Streitfall weist das angefochtene Urteil keinen in diesem Sinne besonders schwerwiegenden Fehler auf.
a) Nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) können Steuern niedriger festgesetzt werden, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Das FG ist davon ausgegangen, dass eine solche Gestaltung dann vorliegen kann, wenn ein staatliches Gericht eine Fehlentscheidung trifft und diese für das betroffene Unternehmen zu einer höheren Steuerbelastung führt als sie im Fall einer richtigen Entscheidung eingetreten wäre. Dies entspricht im Kern einer verbreiteten Auffassung, nach der sich die Unbilligkeit der Steuererhebung u.a. aus einem Fehlverhalten einer Behörde ergeben kann, wenn dieses ohne hinzutretendes Verschulden des Steuerpflichtigen zur Entstehung oder Erhöhung einer Steuer geführt hat (FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 4. April 1995 4 K 659/93 U, Entscheidungen der Finanzgerichte 1995, 790; Kruse/Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 227 AO Tz. 69, m.w.N.). Eine sachfremde oder willkürliche Annahme liegt darin folglich nicht.
b) Das FG hat sodann geprüft, ob eine abweichende Steuerfestsetzung im Streitfall deshalb ausscheidet, weil die unrichtige Entscheidung des AG zu einem Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geführt hat und die Klägerin durch eine rechtzeitige Verfolgung dieses Anspruchs ihre erhöhte Steuerbelastung hätte kompensieren können. Es hat diese Frage verneint und zur Begründung auf § 839 Abs. 3 BGB verwiesen. Dem FA ist zwar zuzugeben, dass die Anwendbarkeit der genannten Vorschrift auf den Streitfall zweifelhaft erscheint, da diese an den schuldhaften Nichtgebrauch von Rechtsmitteln anknüpft und die Klägerin ausweislich des FG-Urteils von allen ihr zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln Gebrauch gemacht hat. Doch würde sich selbst dann, wenn das FG unzutreffenderweise § 839 Abs. 3 BGB für einschlägig gehalten haben sollte, hieraus nicht die Willkürlichkeit oder greifbare Gesetzwidrigkeit seiner Entscheidung ergeben. Es läge dann vielmehr nur eine unrichtige Rechtsanwendung vor, die als solche keinen Mangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO darstellt.
Abgesehen davon weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass die im FG-Urteil enthaltene Bezugnahme auf § 839 Abs. 3 BGB möglicherweise auf einem Diktat- oder Schreibfehler beruht. Es liegt nämlich nahe, dass das FG tatsächlich auf Abs. 2 des § 839 BGB abstellen wollte, der die Haftung für Fehler bei einem "Urteil in einer Rechtssache" auf strafbare Handlungen beschränkt. Diese Annahme wird insbesondere dadurch gestützt, dass es bei dem schadenstiftenden Verhalten um die Tätigkeit eines Gerichts --nämlich des AG als Registergericht-- ging. Wollte jedoch das FG zum Ausdruck bringen, dass ein Schadensersatzanspruch der Klägerin an § 839 Abs. 2 BGB scheiterte, so kann dies ebenfalls nicht als willkürlich und sachfremd angesehen werden; das gilt wiederum unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob die hier in Rede stehende registergerichtliche Tätigkeit dieser Vorschrift unterliegt oder nicht.
4. Auf eine weiter gehende Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO verzichtet.
Fundstellen