Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge nicht vorschrifts mäßiger Besetzung des Gerichts im Wieder aufnahmeverfahren
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge, an der Entscheidung über die Wiederaufnahmeklage hätten Richter mitgewirkt, die bereits bei Erlaß der mit der Restitutionsklage angegriffenen Entscheidung beteiligt waren, ist nicht geeignet, den Mangel ordnungsgemäßer Besetzung des Gerichts i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO oder unzulässiger Mitwirkung von kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richtern (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO) schlüssig zu begründen.
2. Sind die gesetzlichen Vorschriften über die Bestellung der Richter und die Geschäftsverteilung sowie der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts und der senatsinterne Mitwirkungsplan beachtet worden, war das Gericht grundsätzlich vorschriftsmäßig besetzt.
3. Die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens i. S. des § 134 FGO i. V. m. §§ 578 ff. ZPO bildenden Entscheidungen sind keine "angefochtenen Entscheidungen aus einem früheren Rechtszug" i. S. von § 51 Abs. 1 S. 1 FGO i. V. m. § 41 Nr. 6 ZPO.
4. Geht das Gericht in seiner Entscheidung davon aus, daß mangels Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes i. S. von § 134 FGO i. V. m. §§ 580, 581 Abs. 1 ZPO (und der Bestandskraft der Gewinnfeststellungsbescheide) sachlich über das Begehren des Klägers nicht mehr entschieden werden kann, kann eine an sich notwendige Beiladung i. S. des § 60 Abs. 3 FGO unterbleiben.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1-2, §§ 134, 60 Abs. 3; ZPO §§ 578, 580 f., § 41 Nr. 6
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hatte mit Urteilen vom 8. März 1988 und vom 10. Juli 1991 die Klagen des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) gegen die einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungen 1979, 1980 und 1981 abgewiesen.
Der Kläger hat mit Restitutionsklage nach § 134 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §§ 578, 580 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO) die Aufhebung der vorbezeichneten rechtskräftig gewordenen Urteile begehrt.
Das FG hat die Restitutionsklage als nicht statthaft abgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 581 Abs. 1 ZPO nicht vorgelegen hätten.
Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Revision eingelegt, mit der er rügt, das Gericht sei nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Es hätten nach eigener Aussage drei Richter mitgewirkt, die die -- mit der Wiederaufnahmeklage -- angefochtenen Urteile gestaltet und erlassen hätten. Das Urteil leide an einem weiteren Verfahrensmangel, weil das Gericht es unterlassen habe, den Beigeladenen der Verfahren über die Gewinnfeststellungen auch zum Wiederaufnahmeverfahren beizuladen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des FG vom 10. Oktober 1995 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die ohne Zulassung eingelegte, auf § 116 Abs. 1 FGO gestützte Revision ist unzu lässig. Eine Revision ist ohne besondere Zulassung nach § 116 Abs. 1 FGO nur statthaft, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zumindest einer der in dieser Vorschrift abschließend benannten Verfahrensfehler schlüssig gerügt worden ist; d. h., wenn die zur Begründung des Verfahrensfehlers angeführten Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO ergeben (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH --, vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. April 1986 VI R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568; vom 26. Juli 1994 VII R 87/93, BFH/NV 1995, 406, und vom 14. November 1995 VIII R 84/93, VIII R 1/94, BFH/NV 1996, 416).
Die vorliegende Revision genügt diesen Anforderungen nicht.
1. Die Rüge, an der Entscheidung hätten drei Richter mitgewirkt, die bereits bei Erlaß der mit der Restitutionsklage angegriffenen Entscheidungen mitgewirkt hätten, ist nicht geeignet, den Mangel ordnungsgemäßer Besetzung i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO oder unzulässiger Mitwirkung von kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richtern (§ 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO) schlüssig zu begründen.
a) Ein Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO liegt vor, wenn bei der Zusammensetzung des erkennenden Senats des Gerichts § 5 Abs. 3 FGO, §§ 14 bis 27 FGO nicht beachtet wurden oder gegen die Vorschriften des § 4 FGO i. V. m. § 21 e bis § 21 g des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) über die Geschäftsverteilung oder gegen den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts verstoßen wurde (BFH-Beschluß vom 1. Oktober 1992 V R 18/92, BFH/NV 1993, 544; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rdnr. 4, m. w. N.) und dadurch in willkürlicher Weise der gesetzliche Richter i. S. des § 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) entzogen ist (BFH-Beschluß vom 29. Mai 1992 VIII K 1/92, BFH/NV 1992, 538, m. w. N.). Tatsachen, aus denen sich ergäbe, daß das Gericht von den gesetzlichen Vorschriften über die Bestellung der Richter, von der Geschäftsverteilung auf die verschiedenen Senate des FG oder dem senatsinternen Mitwirkungsplan abgewichen ist, hat der Kläger nicht vorgetragen. Sein Vortrag, an der Entscheidung über die Wiederaufnahmeklage hätten nach eigener Aussage drei Richter mitgewirkt, die bereits die angefochtenen Urteile erlassen hätten, ist auch nicht geeignet, Zweifel an der persönlichen Unabhängigkeit (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 17. August 1989 VII R 37/89, BFH/NV 1990, 305) der mit den Restitutionsverfahren befaßten Richter zu begründen.
b) Mit diesem Sachvortrag des Klägers ist auch eine Besetzungsrüge i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO (§ 119 Nr. 2 FGO) nicht schlüssig dargetan.
Nach § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO bedarf es einer Zulassung der Revision ebenfalls nicht, wenn an der Entscheidung ein (oder mehrere) Richter mitgewirkt haben, die kraft Gesetzes (§ 51 Abs. 2 FGO oder § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 41 ZPO) von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt waren. Ausgeschlossenn ist ein Richter, wenn er in der gleichen Streitsache bei Erlaß der angefochtenen Entscheidung in einem früheren Rechtszug, d. h. der unteren Instanz, mitgewirkt hat (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 41 Nr. 6 ZPO; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 18. Oktober 1979 3 C 117/79, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1980, 2722; Gräber/Koch, a.a.O., § 51 Rdnr. 13; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 54. Aufl., § 41 Anm. 2 F). Die Vorschrift soll verhindern, daß in einem mehrinstanzlichen Verfahren derjenige bei der Nachprüfung mitwirkt, der die nachzuprüfende Entscheidung erlassen hat (BFH-Beschluß vom 31. Juli 1989 VIII R 41/86, BFH/NV 1990, 511). Das ist nicht der Fall, wenn der Richter an einem Wiederaufnahmeverfahren mitwirkt (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 5. Dezember 1980 V ZR 16/80, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -- HFR -- 1981, 539 = NJW 1981, 1273, 1274; Baumbach/Hartmann, a.a.O., § 41 Anm. 2 G Rdnr. 20). Die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens i. S. des § 134 FGO i. V. m. § 578 ff. ZPO bildenden Urteile -- hier die Entscheidungen des FG vom 8. März 1988 und 10. Juli 1991 betreffend die Rechtmäßigkeit der Gewinnfeststellungsbescheide 1979 bis 1981 -- sind keine "angefochtenen Entscheidungen aus einem früheren Rechtszug" i. S. von § 41 Nr. 6 ZPO. Auf Wiederaufnahmeverfahren läßt sich die Vorschrift des § 41 Nr. 6 ZPO wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im Gesetz möglichst eindeutig zu bestimmen, nicht ausdehnen (vgl. BGH in NJW 1981, 1274, m. w. N.).
c) Für die Rüge, an der Entscheidung hätten Richter mitgewirkt, die wegen ihrer Beteiligung an den dem Wiederaufnahmeverfahren zugrundeliegenden Entscheidungen Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit geben, ist zwar § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO die maßgebliche Sonderregelung (vgl. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 67). Ein Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 FGO ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift indessen nur dann schlüssig gerügt, wenn geltend gemacht wird, daß bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt habe, der wegen Besorgnis der Befangenheit "mit Erfolg" abgelehnt war (BVerwG in NJW 1980, 2722). Die Rüge des Klägers im Verfahren vor dem FG genügt diesen Anforderungen schon deshalb nicht, weil er -- ohne einen Ablehnungsantrag zu stellen -- zur Sache verhandelt hat (vgl. dazu Beschluß des Großen Senats des BFH vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217 unter II.3. b aa).
2. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe eine notwendige Beiladung unterlassen, liegen die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 FGO nicht vor. Dieser Mangel gehört nicht zu den Gründen für eine nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO zulassungsfreie Revision (vgl. Beschluß des BVerwG vom 23. Februar 1977 VII CB 74/75, HFR 1977, 512; BFH- Beschluß vom 18. Mai 1988 IV R 21/88, IV B 36/88, BFH/NV 1989, 174). Ungeachtet dessen könnte der Kläger eine Verfahrensrüge auch nicht mit Erfolg auf die Verletzung des § 60 Abs. 3 FGO i. V. m. § 119 Ziff. 3 FGO stützen. Das FG ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß mangels Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes i. S. von §§ 580, 581 Abs. 1 ZPO (und der Bestandskraft der Gewinnfeststellungsbescheide) sachlich über das Begehren des Klägers nicht mehr entschieden werden könne. Darin liegt keine Entscheidung, die allen Beteiligten gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vgl. BFH-Beschluß vom 22. März 1995 IV B 66/94, BFH/NV 1995, 996).
Fundstellen
Haufe-Index 421617 |
BFH/NV 1997, 122 |