Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzlicher Richter nach Unterbrechung und Fortsetzung der mündlichen Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Eine bereits geschlossene mündliche Verhandlung ist nach ihrer Wiedereröffnung mit den bisher tätigen (ehrenamtlichen) Richtern fortzusetzen.
2. Der Wiedereröffnungsbeschluß braucht nicht als solcher gekennzeichnet zu sein; es genügt, daß das FG die erkennbare Absicht hatte, die einmal begonnene mündliche Verhandlung fortzusetzen.
Normenkette
FGO § 93 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage der Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wegen Gewinnfeststellung 1982 statt. Es hat die Revision nicht zugelassen.
Die Entscheidung beruht auf einer an zwei Tagen durchgeführten mündlichen Verhandlung. Die mündliche Verhandlung am 24. November 1992 hatte das FG nach einer Beweisaufnahme mit dem Hinweis geschlossen, daß eine Entscheidung im Laufe des Sitzungstages ergehen werde. In der sich anschließenden Beratung hat das FG dann aber weiter beschlossen, daß der Sachverhalt noch aufzuklären und zusätzliche Beweise zu erheben seien. Es hat dann die Sache erneut aufgerufen, die Öffentlichkeit wieder hergestellt und verkündet, daß den Beteiligten eine Entscheidung zugestellt werde. Der zugestellte Auflagen- und Beweisbeschluß enthielt auch die Entscheidung, daß die mündliche Verhandlung unterbrochen sei und ein neuer Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung auf den 21. Dezember 1992 10.45 Uhr bestimmt werde.
In der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 1992 haben dieselben Richter mitgewirkt wie in der mündlichen Verhandlung vom 24. November 1992.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Revision bedürfe keiner Zulassung. Es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Die ehrenamtlichen Richter seien nicht berechtigt gewesen, an der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 1992 teilzunehmen. Sie seien nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG für diesen Tag nicht eingeteilt gewesen. Durch den Beschluß des Gerichts, daß die mündliche Verhandlung unterbrochen sei, habe die Fortdauer der Besetzung nicht erreicht werden können.
Die ehrenamtlichen Richter hätten an dem Beschluß über die Wiedereröffnung der bereits geschlossenen mündlichen Verhandlung nicht mehr mitwirken dürfen; ihre Funktion als gesetzliche Richter sei mit der Schließung der mündlichen Verhandlung beendet gewesen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Wiedereröffnung nur deshalb beschlossen worden sei, um über die noch für erforderlich gehaltenen weiteren Ermittlungen durch Beweiserhebung und Auflagen in der bisherigen Besetzung entscheiden zu können, obwohl ein neuer Sachverhalt nicht zu erwarten gewesen sei.
Das angefochtene Urteil könne im vorliegenden Revisionsverfahren auch sachlich überprüft werden. Die zu entscheidende materiell-rechtliche Frage sei von grundsätzlicher Bedeutung.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Nach § 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Die Revision ist auch nicht auf die Beschwerde eines Beteiligten hin vom BFH zugelassen worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde des FA hat der erkennende Senat durch Beschluß vom heutigen Tage verworfen.
2. Das Rechtsmittel ist auch nicht als zulassungsfreie Verfahrensrevision i.S. des § 116 Abs. 1 FGO zulässig. Das FG hat in der Revisionsbegründung keinen der in dieser Vorschrift abschließend aufgeführten Verfahrensmängel, die eine zulassungsfreie Revision eröffnen, schlüssig gerügt.
a) Eine schlüssige Verfahrensrüge im Sinne dieser Vorschrift liegt nur vor, wenn die zur Begründung des Verfahrensmangels vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO ergeben (vgl. zuletzt BFH-Beschluß vom 18. August 1992 VIII R 9/92, BFHE 168, 508, BStBl II 1993, 55 m.w.N.). Die Rüge eines Mangels i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO ist schlüssig, wenn sich aus den vorgetragenen Tatsachen ableiten läßt, daß der erkennende Senat des FG in der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 1992 nicht vorschriftsmäßig - d.h.: nicht mit den an diesem Tag nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG vorgesehenen ehrenamtlichen Richtern (§ 27 FGO) - besetzt war.
b) Das FA hat einen solchen Verfahrensmangel nicht dargetan.
Die bei der Entscheidung am 21. Dezember 1992 mitwirkenden ehrenamtlichen Richter waren zwar - davon geht der erkennende Senat aus - nicht die nach dem Geschäftsverteilungsplan des FG für diesen Verhandlungstag berufenen ehrenamtlichen Richter. Trotzdem waren sie die für die mündliche Verhandlung im Streitfall berufenen gesetzlichen Richter.
aa) Wer gesetzlicher Richter ist, bestimmt sich zumindest dann nach dem zu verhandelnden Fall und nicht nach einem bestimmten Verhandlungstag, wenn die Verhandlung lediglich unterbrochen war. In diesem Fall ist die Verhandlung mit denselben (ehrenamtlichen) Richtern fortzusetzen (herrschende Meinung, vgl. etwa Gräber/ Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 27 Anm. 5; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 27 FGO Tz. 1 und zu § 103 FGO, jeweils m.w.N.). Sie sind die Richter, die das Urteil zu fällen haben (§ 103 FGO).
bb) Im Streitfall war das Verfahren lediglich unterbrochen.
aaa) Die mündliche Verhandlung war bereits geschlossen; sie konnte deshalb nur nach Wiedereröffnung fortgesetzt werden. Ob die Wiedereröffnung geboten war, weil sich in der Beratung die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung herausgestellt hatte (zur Wiederaufnahmeverpflichtung in diesem Fall, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 29. November 1973 IV R 221/69, BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115, und vom 17. April 1985 I R 67/82, BFH/NV 1986, 409 sowie Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Anm. 10 und Tipke/Kruse, a.a.O., § 93 FGO Tz. 3 m.w.N.), kann hier offenbleiben; das FG hat das ihm nach § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO zustehende Ermessen (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH in BFHE 111, 21, BStBl II 1974, 115, und Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Anm. 9 m.w.N.) im Sinne der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ausgeübt.
bbb) Es ist für die Entscheidung im Streitfall ohne Bedeutung, daß das FG die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beschlossen hat.
Das Gesetz sieht einen solchen Beschluß vor (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO). Es ist aber nicht erforderlich, daß dieser ausdrücklich als Wiedereröffnungsbeschluß gekennzeichnet ist; es genügt, daß das FG erkennbar die Absicht hatte, die einmal begonnene mündliche Verhandlung fortzusetzen (BFH-Urteil vom 15. März 1977 VII R 122/73, BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431). Für das Vorliegen dieser Absicht spricht im Streitfall nicht nur die Tatsache, daß im Termin vom 24. November 1992 bereits Beweis erhoben wurde und deshalb zur Sicherstellung der Unmittelbarkeit der Beweiswürdigung im Zweifel davon auszugehen ist, daß das Gericht die mündliche Verhandlung lediglich unterbrechen und nicht vertagen wollte (BFH in BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431; Gräber/Koch, a.a.O., § 27 Anm. 5, § 81 Anm. 9; Tipke/ Kruse, a.a.O., § 91 FGO Tz. 1 und zu § 103 FGO); es hat diese Absicht auch unmißverständlich mit dem Hinweis auf die Unterbrechung des Verfahrens und mit dem Erlaß eines Aufklärungs- und Beweisbeschlusses zum Ausdruck gebracht.
c) Die Entscheidung über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung war auch wirkam.
Es ist zwar noch nicht endgültig geklärt, in welcher Besetzung ein Spruchkörper über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu entscheiden hat (vgl. dazu näher Sangmeister, Deutsche Steuer-Zeitung - DStZ - 1989, 25ff.). Die Frage kann im Streitfall aber offenbleiben. Der Beschluß über die Fortsetzung des Verfahrens und eine weitere Beweiserhebung ist ausweislich dieses Beschlusses in der Sitzung vom 24. November 1992 gefaßt worden. An ihm haben deshalb - wie auch das FA vorträgt - die ehrenamtlichen Richter mitgewirkt. Damit sind die Anforderungen, die bei einem Wiedereröffnungsbeschluß vor Urteilsfällung an den Spruchkörper zu stellen sind, auf jeden Fall erfüllt (vgl. etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozeßordnung, 52. Aufl., § 156 Rdnr. 10; Zöller/Greger, Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 156 Rdnr. 6; Sangmeister, DStZ 1989, 25ff. m.w.N.).
Fundstellen