Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung; Haftungsbescheid wegen mangelnden Steuerabzugs für künstlerische Darbietungen
Leitsatz (NV)
1. Bei summarischer Prüfung bestehen ernsthafte Zweifel, ob es mit Art. 49 und 50 EG vereinbar ist, dass die Regelungen in § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG auch auf Vergütungen für künstlerische Darbietungen angewendet werden, die ein Vergütungsschuldner an einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Angehörigen eines EU-Mitgliedstaates zu zahlen hat.
2. Nicht ernstlich zweifelhaft ist, dass der Vergütungsschuldner auch dann zum Steuerabzug verpflichtet ist, wenn er im Inland über keine Betriebsstätte oder eine vergleichbare Einrichtung verfügt.
3. Örtlich zuständig für den Erlass eines Haftungsbescheides ist das FA, in dessen Bezirk die Tätigkeit im Inland vorwiegend ausgeübt oder verwertet worden ist.
4. Der Haftungsbescheid muss keine Erwägungen darüber enthalten, weswegen der Vergütungsschuldner und nicht die Steuerschuldner herangezogen wurden.
5. Die Steuerschuldner (Künstler) sind nicht notwendig zum Verfahren hinzuzuziehen bzw. beizuladen.
6. Der Haftungsbescheid ist nicht deshalb rechtswidrig, weil statt Einkommensteuer möglicherweise Körperschaftsteuer geschuldet wird.
7. Die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides wird bei überschlägiger Prüfung nicht dadurch berührt, dass einzelne DBA das Besteuerungsrecht dem ausländischen Wohnsitzstaat zuweisen oder Diskriminierungsverbote enthalten.
8. Die Assoziierungsabkommen vermitteln ausländischen Künstlern regelmäßig keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit Inländern.
9. Der gesetzlich vorgesehene Abzugssteuersatz von 25 v.H. berücksichtigt regelmäßig die mit der Inlandstätigkeit zusammenhängenden Aufwendungen in pauschalierter Form.
10. Es ist zweifelhaft, ob eine Steuerübernahme durch den Vergütungsschuldner eine eindeutige Nettoabrede verlangt.
11. Soweit Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses bestanden, ist die Vollziehung des Haftungsbescheides mit Wirkung vom Fälligkeitszeitpunkt aufzuheben.
12. Eine unbillige Härte liegt nicht vor, wenn der Haftungsschuldner Rückgriff bei seinen Vertragspartnern nehmen kann.
13. Zu den Voraussetzungen einer Sicherheitsleistung.
Normenkette
AO 1977 § 24; EG Art. 55; AO 1977 §§ 130, 360 Abs. 3; FGO § 60 Abs. 3, § 69 Abs. 2 Sätze 2-3, Abs. 3, § 128 Abs. 3 S. 1, § 136 Abs. 1, § 137 S. 1; EStG § 49 Abs. 1 Nrn. 2d, 3, § 50a Abs. 4 Nrn. 1-2, Abs. 5 Sätze 2, 5, § 50d Abs. 1; EStDV § 73e Abs. 1 S. 1, § 73g; EG Art. 48-50
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist in …/Österreich ansässig. Von dort betreibt sie in der Rechtsform der GesmbH eine …, die seit Jahren Gastspielreisen ausländischer Künstler in den Bereichen Konzert, Oper und Operette, Theater, Ballett und dergleichen in Deutschland veranstaltet. In ihre Rechtsbeziehungen zu den inländischen Veranstaltern schaltete sie seit Herbst 2000 eine GmbH (A) mit Sitz in … (Inland) ein. Die Gesellschafter und Geschäftsführer der Antragstellerin sind auch Gesellschafter bzw. Geschäftsführer der A.
Zwischen der Antragstellerin und der A wurde am 15. September 2000 ein Rahmenvertrag geschlossen, in dem sich die A verpflichtete, die Tourneeveranstaltungen der Antragstellerin in Deutschland durchzuführen und hierüber mit der Antragstellerin jeweils Absprachen zu treffen.
Beispielhaft für eine derartige Absprache ist eine undatierte Vereinbarung zwischen der Antragstellerin und A über eine Gastspieltournee mit dem "Ballett …" in der Zeit vom … bis … 2000. Hierin verpflichtet sich die Antragstellerin, spielfertige Produktionen des Balletts zur Verfügung zu stellen, d.h. sämtliche Kosten der Künstler, der Technik, Technikbus, Tourneeorganisation usw. zu tragen. Die A, die ermächtigt wird, die Vereinbarungen mit den Veranstaltern in der Bundesrepublik Deutschland bezüglich der Vorstellungen im eigenen Ermessen zu treffen, verpflichtet sich, neben den örtlichen Kosten die Kosten für die Flüge …-Frankfurt-… sowie die Transfer- und Übernachtungskosten in Deutschland für die Mitwirkenden und Begleitpersonen zu tragen. Als von der A an die Antragstellerin zu bezahlendes Vorstellungshonorar wird ein Betrag von jeweils … DM (22 Vorstellungen) vereinbart (zusätzliches Honorar für Orchesterbegleitung an drei Tagen jeweils … DM).
Die A beantragte für mehrere Gastspiele ausländischer Künstler unter Bezug auf das Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF) vom 20. Juli 1983 (BStBl I 1983, 302) "die Freistellung vom Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 EStG". Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erteilte am 2. Januar und 1. März 2001 antragsgemäß Freistellungsbescheinigungen für drei Gastspiele. Weitere Anträge der A beschied er zunächst nicht.
Das FA gelangte zu der Auffassung, die Antragstellerin habe als Vergütungsschuldnerin für die ausländischen Künstler als Vergütungsgläubiger die Einkommensteuer abzuführen, und forderte sie auf, zur Vermeidung von Haftungsbescheiden Steueranmeldungen für III/2000 bis III/2001 nachzureichen. Eine Steuerfreistellung nach dem Kulturvereinigungserlass sei nicht möglich.
Mit Schreiben vom 20. September 2001 nahm das FA zum einen die der A erteilten "Bescheinigungen nach dem Kulturvereinigungserlass" gemäß § 130 der Abgabenordnung (AO 1977) zurück und lehnte zum anderen die beantragte Erteilung weiterer Bescheinigungen ab.
Nachdem weder die Antragstellerin noch die A Unterlagen über die den Gastspielreisen zu Grunde liegenden Honorarvereinbarungen vorgelegt hatten, erließ das FA einen Haftungsbescheid, in dem die Besteuerungsgrundlagen anhand vorliegender Kontrollmitteilungen geschätzt wurden. Hierbei wurde die Antragstellerin gemäß § 50a Abs. 5 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die von den ausländischen Künstlern geschuldete Einkommensteuer sowie den Solidaritätszuschlag für die Anmeldungszeiträume III/2000 bis III/2001 in Höhe von … € (Bescheid vom 30. August 2002) in Haftung genommen. Die Haftungssumme setzt sich aus einem nach Bruttovergütungen von … DM (… €) bemessenen Steuerabzugsbetrag (Steuersatz: 33,96 v.H.) und einem darauf entfallenden Solidaritätszuschlag von … € zusammen.
Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde; zugleich beantragte sie, den Haftungsbescheid von der Vollziehung auszusetzen. Dies lehnte das FA mit Bescheid vom 13. November 2002 und Einspruchsentscheidung vom 12. Februar 2003 ab.
Das Finanzgericht (FG) setzte die Vollziehung des Haftungsbescheides vom 30. August 2002 für die Dauer des Einspruchsverfahrens in Höhe von … € aus. Im Übrigen lehnte es den Antrag ab. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1532 veröffentlicht.
Mit der vom FG zugelassenen (§ 128 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) Beschwerde beantragt die Antragstellerin, unter Aufhebung der Entscheidung des FG den Haftungsbescheid nach § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG für Abzugssteuer nach § 50a Abs. 4 EStG vom 30. August 2002 in voller Höhe und ohne Sicherheitsleistungen von der Vollziehung auszusetzen.
Das FA beantragt, für einen Betrag von … € zusätzlich Aussetzung der Vollziehung (AdV) zu gewähren und diese von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
Nach dem Schreiben des BMF vom 17. Oktober 2004 (IV C 8 -S 2411- 4/04) könne in Fällen, in denen Haftungsbescheide nach § 50a Abs. 5 EStG ergangen seien, weil der Vergütungsschuldner den Steuerabzug von Einkünften nach § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG nicht oder nicht in voller Höhe vorgenommen habe, AdV gewährt werden, wenn der Vergütungsgläubiger in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sei oder in einem Staat, auf den das Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum Anwendung finde. Soweit diese Voraussetzungen zuträfen, könne daher der Bescheid ausgesetzt werden.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Antragstellerin hat zum Teil Erfolg.
Der angefochtene Haftungsbescheid ist mit Ausnahme eines Betrages von … € von der Vollziehung auszusetzen.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten Beweismittel, des unstreitigen Sachverhalts und der gerichtsbekannten Tatsachen erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Juni 2004 I B 44/04, BFHE 206, 284, BStBl II 2004, 882).
2. Im Streitfall bestehen bei summarischer Prüfung --zwischen den Beteiligten unstreitig-- im Hinblick auf den Beschluss des Senats vom 28. April 2004 I R 39/04 (BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878) ernsthafte Zweifel, ob es mit Art. 49 und 50 des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte --EG-- (vorher: Art. 59 und 60 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft --EGV--) vereinbar ist, dass die Regelungen in § 50a Abs. 4 und 5 und § 50d Abs. 1 EStG auch auf Vergütungen für künstlerische Darbietungen angewendet werden, die ein Vergütungsschuldner an einen in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässigen Angehörigen eines EU-Mitgliedstaates oder an eine diesen gemäß Art. 48 (= Art. 58 EGV) i.V.m. Art. 55 (= Art. 66 EGV) EG gleichgestellte Gesellschaft zu zahlen hat (BFH-Beschluss in BFHE 206, 284, BStBl II 2004, 882). Soweit die Antragstellerin Vergütungen an Künstler oder Konzertveranstalter aus anderen EU-Mitgliedstaaten geleistet hat, ist dem Antrag deshalb zu entsprechen. Hiervon erfasst werden auch Vergütungen für Gastspiele von Künstlern außerhalb von EU-Mitgliedstaaten, die nach den im Beschwerdeverfahren eingereichten Unterlagen über die unter der gleichen Adresse wie die Antragstellerin ansässige Schwestergesellschaft B-GesmbH gebucht wurden. Rechtlichen Bedenken begegnet der Haftungsbescheid auch insoweit, als ihm eine Veranstaltung des Theaters … zugrunde liegt. Ausgehend von der "Anlage zur Darstellung der Haftungsgrundlagen der Fa. B-GesmbH" handelt es sich um Beträge von … DM (… €; einschließlich der Vergütung für das Theater …) und … DM (… €). Letzterer Betrag bezieht sich auf Zahlungen an die Schwestergesellschaft der Antragstellerin und ermittelt sich wie folgt:
…
Die Antragstellerin will zwar darüber hinaus weitere Veranstaltungen ausländischer Künstler aus Nicht-EU-Staaten über die B-GesmbH gebucht haben; aus den eingereichten Verträgen ist aber ersichtlich, dass die Antragstellerin bei diesen Gastspielen selbst Vertragspartnerin und damit Vergütungsschuldnerin ist.
Des Weiteren ist nicht auszuschließen, dass im Haftungsbescheid Konzerte, die das FA keinen bestimmten Vorstellungen zuordnen konnte, doppelt erfasst sind. Es handelt sich hierbei um folgende Veranstaltungen:
…
3. Keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids dem Grunde nach bestehen bei summarischer Prüfung, soweit die Antragstellerin Honorare an ausländische Künstler entrichtet hat, die nicht in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässig sind.
a) Die Einkünfte der ausländischen Künstler für Gastspiele im Inland unterliegen gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG der beschränkten Steuerpflicht und dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 Nr. 2 EStG. Gleiches gilt für Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG aus der Verwertung künstlerischer Darbietungen (§ 50a Abs. 4 Nr. 1 EStG). Die Antragstellerin hat nach den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen entweder mit Künstlern unmittelbar oder mit anderen Konzertveranstaltern Verträge geschlossen und über die A im Inland Gastspiele mit diesen Künstlern angeboten. Als Vergütungsschuldnerin war sie verpflichtet, den Steuerabzug für Rechnung der Künstler vorzunehmen und die einbehaltene Steuer an das FA abzuführen (§ 50a Abs. 5 Satz 2 EStG). Da sie diese Verpflichtung nicht erfüllt hatte und deshalb für die einzubehaltende und abzuführende Steuer haftet (§ 50a Abs. 5 Satz 5 EStG), war das FA berechtigt, die Steuer bei ihr durch Haftungsbescheid anzufordern (§ 73g der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung --EStDV--).
b) Dem Gesetz lässt sich keine Einschränkung dergestalt entnehmen, dass nur Vergütungsschuldner, die im Inland über eine Betriebsstätte oder eine vergleichbare Einrichtung verfügen, zum Steuerabzug verpflichtet sind. Ausreichend ist vielmehr, dass Entgelte an Künstler oder für die Verwertung künstlerischer Darbietungen im Inland entrichtet werden, die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG oder § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG beschränkt steuerpflichtig sind. Das Anbieten oder Verwerten künstlerischer Veranstaltungen im Inland rechtfertigt die Verpflichtung zum Steuerabzug für Rechnung der Künstler auch für Vergütungsschuldner, die über keine Betriebsstätte oder vergleichbare Einrichtung im Inland verfügen. Das von der Antragstellerin angeführte Senatsurteil vom 30. Oktober 1973 I R 50/71 (BFHE 110, 536, BStBl II 1974, 107) ist zur Lohnsteuer ergangen und daher nicht einschlägig.
c) Bei überschlägiger Prüfung bestehen auch keine Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des FA.
Für Haftungsbescheide, mit denen die vom Vergütungsschuldner abzuführende Abzugssteuer (§ 50a Abs. 4 EStG) gemäß § 73g Abs. 1 EStDV angefordert wird, ist das für die Besteuerung des Vergütungsschuldners vom Einkommen zuständige FA (§ 73e Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 73g EStDV) örtlich zuständig (vgl. Senatsurteil vom 18. Mai 1994 I R 21/93, BFHE 174, 430, BStBl II 1994, 697). Befindet sich weder die Geschäftsleitung noch der Sitz noch Vermögen des Vergütungsschuldners im Inland, so ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Tätigkeit im Inland vorwiegend ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist.
Für die Besteuerung der Antragstellerin als Vergütungsschuldnerin örtlich zuständig war danach das FA. Sie hat in dessen Bezirk die Verträge mit der A abgeschlossen. Weitere Tätigkeiten im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden Veranstaltungen hat die Antragstellerin im Inland nicht entfaltet; diese oblagen vielmehr nach den vertraglichen Vereinbarungen der A.
Das BMF-Schreiben vom 23. Januar 1996 (BStBl I 1996, 89 Tz. 4.1) geht von keinen anderen Grundsätzen aus. Es bestimmt, dass in den Fällen, in denen kein FA nach § 73e EStDV zuständig ist, die Steuer an das Finanzamt abzuführen ist, in dessen Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt (§ 24 AO 1977). Bei einer Tournee mit ausländischem Veranstalter sei dies das FA, in dessen Bezirk die Tournee beginne. Dies ist zutreffend in den Fällen, in denen der ausländische Veranstalter selbst die Tournee organisiert und mit den Veranstaltern vor Ort Gastspiele vereinbart. Hier hat jedoch die Antragstellerin die Gastspiele über die A verwertet.
d) Der Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Haftungsbescheid keine Erwägungen darüber enthält, weshalb das FA die Antragstellerin und nicht die Steuerschuldner herangezogen (Senatsurteil vom 20. Juli 1988 I R 61/85, BFHE 154, 473, BStBl II 1989, 99) oder weil es die Steuerschuldner nicht zum Verwaltungsverfahren hinzugezogen hat. Die Voraussetzungen für eine notwendige Hinzuziehung (§ 360 Abs. 3 AO 1977) bzw. Beiladung (§ 60 Abs. 3 FGO) liegen nicht vor (vgl. BFH-Beschluss vom 6. Mai 1988 VI B 35/87, BFH/NV 1989, 113, m.w.N., zur Beiladung eines Arbeitnehmers im Verfahren gegen den Arbeitgeber wegen Lohnsteuerhaftung). Ebenso ist bei summarischer Prüfung unschädlich, dass statt Einkommensteuer eventuell in einigen Fällen Körperschaftsteuer geschuldet wird. Entscheidend ist insoweit die Erfassung des "richtigen" haftungsbegründenden Sachverhalts (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 191 AO 1977 Rz. 101, m.w.N.; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 191 Rz. 75).
e) Ob einzelne Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) das Besteuerungsrecht dem ausländischen Wohnsitzstaat zuweisen, hat ebenso wenig Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG) wie die in den jeweiligen DBA verankerten Diskriminierungsverbote (Senatsurteile vom 19. November 2003 I R 22/02, BFHE 205, 37, BStBl II 2004, 560, und vom 21. Mai 1997 I R 79/96, BFHE 184, 281, BStBl II 1998, 113). Die Schwierigkeiten des Fiskus bei der Durchsetzung von Steuerforderungen gegenüber ausländischen Künstlern für deren inländische Auftritte rechtfertigen den Steuerabzug.
f) Das Gesetz sieht nicht vor, dass Betriebsausgaben der Künstler die Bemessungsgrundlage der Abzugssteuer mindern. Vielmehr ist der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der gesetzlich vorgesehene Abzugssteuersatz von 25 v.H. die mit der Inlandstätigkeit zusammenhängenden Aufwendungen in pauschalierter Form berücksichtigt (Senatsurteil in BFHE 205, 37, BStBl II 2004, 560). Ob dies ausnahmslos gilt, kann im Streitfall offen bleiben, weil die Antragstellerin bislang Betriebsausgaben der Künstler nicht nachgewiesen hat. Es ist auch nicht zu unterstellen, dass Künstler ausländischer Bühnen, die staatlich subventioniert sind, bei ihren Auftritten im Inland keine Überschüsse erzielen.
g) Die Rechtmäßigkeit des Bescheides ist auch nicht insoweit zweifelhaft, als die Empfänger der Honorare aus Staaten mit Assoziierungsabkommen zur EU stammen. Denn die in den Abkommen enthaltenen Vereinbarungen über Dienstleistungen sind erkennbar nicht auf eine Gleichbehandlung mit Inländern gerichtet. Sie unterscheiden sich insoweit von der Regelung über Arbeitnehmerrechte im Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit zur Gründung einer Partnerschaft zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Russischen Föderation andererseits --Partnerschaftsvertrag EG-Russland-- (BGBl II 1997, 8), die Grundlage des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) "Simutenkov" vom 12. April 2005 Rs. C-265/03 war, das die Antragstellerin zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung heranzieht. Die im Senatsbeschluss in BFHE 206, 120, BStBl II 2004, 878 (unter D.3.) angesprochene Möglichkeit, dass eine in Art. 49 EG statuierte "passive Dienstleistungsfreiheit" des innereuropäischen Leistungsempfängers auf Leistungen von Nicht-EU-Anbietern ausstrahlen könnte, begründet im summarischen Verfahren keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides.
h) Die Antragstellerin ist nach den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen Vergütungsschuldnerin zumindest für folgende Veranstaltungen von Künstlern außerhalb der EU:
…
Nach den eingereichten Verträgen war die Antragstellerin bei diesen Tourneen selbst Vertragspartnerin und damit Vergütungsschuldnerin.
Hinzu kommen die Gastspiele, die das FA aufgrund von Kontrollmitteilungen festgestellt und zu denen sich die Antragstellerin entweder nicht geäußert oder keine Unterlagen eingereicht hat. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Gastspiele:
…
Insgesamt sind demnach Vergütungen an Künstler aus Ländern, die nicht der EU angehören, in Höhe von … DM (… €) geflossen. Nach den Angaben im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin zwar geringere Zahlungen an die Künstler geleistet. Zu den der Abzugssteuer unterliegenden Vergütungen zählen jedoch auch die Beträge, die zusätzlich zu der für die eigentliche künstlerische Darbietung bezahlten Gage geleistet werden (Senatsurteil vom 16. Mai 2001 I R 64/99, BFHE 196, 210, BStBl II 2003, 641; Gosch in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 5. Aufl., § 49 Rn. 43). Die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren nur unvollständige Unterlagen über die Gastspiele eingereicht und nicht angegeben, welche zusätzlichen Kosten, z.B. für Übernachtung der Künstler, aufgewendet wurden. Nach den Feststellungen des FG in der die Schwestergesellschaft A betreffenden Sache … sind allein an Reisekosten im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Aufführungen … DM angefallen. Der Senat folgt daher im Aussetzungsverfahren der Schätzung des FA, die sich auf Kontrollmaterial stützt.
i) Bei summarischer Prüfung beträgt der Abzugssteuersatz für die Vergütungen 25 v.H. zuzüglich Solidaritätszuschlag, demnach 26,375 v.H. Zwar sind z.T. Nettozahlungen ausdrücklich vereinbart; z.T. bestehen Zahlungsmodalitäten, die einen Steuerabzug erkennbar ausschließen. Jedoch wird in der Literatur für die Anwendung des hochgerechneten Steuersatzes eine eindeutige Nettoabrede verlangt, an der es z.B. fehlen soll, wenn --wie hier-- ein Freistellungsantrag gestellt wird (Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 50a Rz. 12, m.w.N.). Diese Problematik muss bei summarischer Betrachtung als offen angesehen werden. Da der Bescheid von einem Steuersatz von 35,828 v.H. ausgeht, ist deshalb auch soweit die Antragstellerin Honorare an Künstler außerhalb der EU geleistet hat, in Höhe von 9,43 v.H. von einer unklaren Rechtslage auszugehen und insoweit AdV zu gewähren. Der nicht auszusetzende Betrag beträgt danach … €.
4. Da die Entscheidung über den Antrag auf AdV nur für die Zukunft wirkt, war gemäß § 69 Abs. 2 und 3 FGO die Vollziehung des Haftungsbescheides mit Wirkung zum Fälligkeitszeitpunkt aufzuheben, soweit bereits zu diesem Zeitpunkt Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestanden haben (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2005 I B 208/04, BStBl II 2005, 351, m.w.N.).
Zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bestanden Zweifel an der Rechtmäßigkeit nur hinsichtlich der Honorare für Aufführungen von Künstlern aus anderen EU-Mitgliedstaaten und der Aufführung des Theaters des … Diese betrugen … DM (… €).
Die Vollziehung des Bescheides ist daher zum Zeitpunkt seines Erlasses in Höhe von … € aufzuheben:
Weiter gehende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides haben sich erst aufgrund des Vortrags der Antragstellerin und der eingereichten Unterlagen im Schriftsatz vom 6. August 2004 --eingegangen beim BFH am 10. August 2004-- im Beschwerdeverfahren ergeben. Hieraus war ersichtlich, dass das FA im Haftungsbescheid Veranstaltungen über Beträge von … DM/ … € möglicher Weise doppelt erfasst hat und Gastspiele von Künstlern außerhalb von EU-Mitgliedstaaten eventuell über die unter der gleichen Adresse wie die Antragstellerin ansässige Schwestergesellschaft B-GesmbH bezogen hat. Eine Aufhebung des Bescheides war insoweit erst ab 10. August 2004 angezeigt. Erst ab diesem Zeitpunkt haben sich Zweifel auch daran ergeben, ob die Antragstellerin mit Künstlern außerhalb der EU Nettoabreden getroffen hat (s. 3.i).
Die Vollziehung des Bescheides ist demnach ab dem 10. August 2004 über folgende Beträge aufzuheben:
…
Da der Bescheid weniger als die Summe der einzelnen Haftungsbeträge enthält, ist die Vollziehung des Bescheides nur in Höhe von … € aufzuheben.
5. Die Vollziehung des Haftungsbescheides ist auch nicht in weiterem Umfang wegen unbilliger Härte gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO auszusetzen.
Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes Nachteile drohen, die nicht oder nur schwer wieder gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führt (z.B. BFH-Beschluss vom 5. März 1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325).
Anhaltspunkte hierfür sind im Streitfall nicht ersichtlich. Zum einen kann die Antragstellerin Rückgriff bei ihren Vertragspartnern, den eigentlichen Steuerschuldnern, nehmen. Zum andern ist nicht erkennbar, dass die Antragstellerin, die in der Branche seit Jahren tätig ist und Umsätze in Millionenhöhe erzielt, nicht in der Lage sein soll, sich notfalls die erforderlichen Kredite zu beschaffen. Zwar trägt die Antragstellerin vor, sie verfüge lediglich über ein geringes Anlagevermögen und keine Kreditlinie, auch erziele sie lediglich eine Umsatzrendite von weniger als 1 %. Dieser Vortrag ist jedoch weder belegt noch erscheint er angesichts der Zahlungen, die sie an die Künstler und verbundene Unternehmen geleistet haben will, plausibel.
6. Die weitere AdV wird gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 FGO von einer Sicherheitsleistung in Höhe des zusätzlich ausgesetzten Betrages von … € abhängig gemacht.
a) Die Aussetzung gegen Leistung einer Sicherheit ist angezeigt, wenn die spätere Vollstreckung der Steuerforderung infolge der AdV gefährdet oder erschwert erscheint. Denn die Sicherheitsleistung dient der Vermeidung von Steuerausfällen bei einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Verfahrensausgang (z.B. BFH-Beschlüsse in BStBl II 2005, 351, und vom 24. Oktober 2000 V B 144/00, BFH/NV 2001, 493). Diese Voraussetzung liegt hier vor, denn die Antragstellerin hat vorgetragen, sie verfüge über nur geringes Anlagevermögen und keinen Kreditrahmen.
b) Das öffentliche Interesse an der Vermeidung von Steuerausfällen entfällt jedoch, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (BFH-Urteil vom 13. Oktober 1988 IV R 220/85, BFHE 154, 532, BStBl II 1989, 39; BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 493). Ob der Bescheid, soweit er Honorarzahlungen an Künstler aus EU-Staaten betrifft, wegen Verstoßes gegen Art. 49 und 50 EGV rechtswidrig ist, ist offen. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragstellerin obsiegen wird, besteht nicht.
c) Von einer Sicherheitsleistung ist auch nicht mit Blick auf die wirtschaftliche Lage der Antragstellerin abzusehen. Wie unter 5. ausgeführt, ist nicht belegt, dass die Antragstellerin im Rahmen zumutbarer Anstrengungen nicht in der Lage ist, Sicherheit in dieser Höhe zu leisten (z.B. BFH-Beschluss vom 31. Januar 1997 X S 11/96, BFH/NV 1997, 512) .
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1, § 137 Satz 1 FGO. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheides bestanden zunächst nur in Höhe von … €. Die Antragstellerin hat erst im Beschwerdeverfahren ihre Vertragspartner und die Höhe der Honorarzahlungen z.T. benannt. Soweit sich hieraus weitere Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ergaben, ist das FA dem weiter gehenden Aussetzungsantrag nicht entgegengetreten. Dem Senat erscheint es ermessensgerecht, nach § 137 Satz 1 FGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens in voller Höhe und die Kosten vor dem FG im Verhältnis von … € zum vollen Haftungsbetrag der Antragstellerin aufzuerlegen. Die Entscheidung über die Sicherheitsleistung hatte keine Auswirkung auf die Kostenentscheidung (BFH-Beschluss in BFH/NV 2001, 493).
Fundstellen