Entscheidungsstichwort (Thema)
Rügeverzicht; Änderung eines Steuerbescheids zu Ungunsten des Steuerpflichtigen, wenn Zustimmung dazu gegenüber der Steuerfahndungsstelle erteilt ist
Leitsatz (NV)
1. Zur Frage des Rügeverzichts, wenn die Rüge unzureichender Sachaufklärung nur deshalb unterblieb, weil die Überzeugung des Gerichts auch durch Zeugenaussagen nicht zu erschüttern gewesen wäre.
2. Erklärt sich der selbst fachkundige Steuerpflichtige mit der von einem Beamten der Steuerfahndungsstelle vorgeschlagenen Hinzuschätzung von Einkünften einverstanden, kann darin nach den Umständen des Einzelfalls eine Zustimmung i.S. von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 zu einer Änderung des Steuerbescheids zu Ungunsten des Steuerpflichtigen liegen. Die formalen Voraussetzungen, die der BFH für eine sog. tatsächliche Verständigung aufgestellt hat, müssen in diesem Fall nicht erfüllt sein.
Normenkette
AO 1977 § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 208 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3, § 76 Abs. 1; ZPO § 295
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 11.12.2003; Aktenzeichen VI 201/2002) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat den von ihr geltend gemachten Verfahrensfehler der mangelnden Sachaufklärung nicht schlüssig i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt (vgl. unten 1.). Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO - vgl. unten 2.) bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 - vgl. unten 3.) zuzulassen.
1. Die Rüge der Klägerin, das Finanzgericht (FG) habe die von ihr in Anlage 2 zur Klagebegründung vom 26. September 2002 angetretenen Beweise nicht erhoben, entspricht nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Wird --wie hier-- mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung geltend gemacht, das FG habe Beweisanträge übergangen, so muss der Beschwerdeführer, da es sich dabei um die Rüge eines "verzichtbaren Mangels" i.S. von § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO handelt, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) u.a. auch vortragen, dass die Nichterhebung der Beweise in der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt worden sei (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. Juni 1988 VII R 135/85, BFHE 153, 393, BStBl II 1988, 841) oder --wenn dies nicht geschehen sein sollte-- weshalb eine solche Rüge dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen sei (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 6. Juni 1994 I B 19-21/94, BFH/NV 1995, 441; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 120 Rz. 69 i.V.m. § 116 Rz. 50).
Daran fehlt es im Streitfall. Weder hat die Klägerin substantiiert dargelegt noch ist aus dem Sitzungsprotokoll über die mündliche Verhandlung am 11. Dezember 2003 ersichtlich, dass die Klägerin die Nichterhebung von Beweisen beanstandet hat. Die Klägerin und ihr sach- und rechtskundiger Prozessbevollmächtigter waren beide in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2003 anwesend und haben lt. Sitzungsprotokoll rügelos zur Sache verhandelt und den Antrag gestellt, ohne auf einer weiteren Sachaufklärung zu bestehen. Damit ist auf die Rüge unzureichender Sachaufklärung auch dann wirksam verzichtet worden, wenn sie --wie in der Beschwerdebegründung vorgetragen-- nur deshalb unterblieb, weil die Überzeugung des Gerichts auch durch Zeugenaussagen nicht zu erschüttern gewesen wäre.
Abgesehen vom Verlust des Rügerechts hat die Klägerin die Unterlassung der Sachaufklärung auch sonst nicht schlüssig bezeichnet. Hierfür ist ausgehend von dem vom FG eingenommenen Rechtsstandpunkt darzulegen, inwiefern die benannten Zeugen Aussagen hätten machen können, die zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung hätten führen können. Das FG hat im Streitfall die Einlassung der Klägerin gegenüber den Beamten der Steuerfahndung am 30. März 2000 als Zustimmung zum Ansatz gewerblicher Einkünfte wegen unerlaubter Hilfe in Steuersachen in Höhe von 3 000 DM (1994), 4 000 DM (1995) bzw. 5 000 DM (1996 bis 1998) und dem Erlass entsprechend zu ihren Ungunsten geänderter Steuerbescheide gewertet. Angesichts dieser tatrichterlichen Würdigung der Erklärung der Klägerin im Steuerfahndungsverfahren bedurfte es nicht der Vernehmung der in der Klageschrift benannten Zeugen, da eine Beweiserhebung nur erforderlich, ein Beweisantrag des Beteiligten nur begründet und das Unterlassen einer Beweiserhebung nur verfahrensfehlerhaft ist, wenn solche Tatsachen auch entscheidungserheblich sind. Da das FG von der Zustimmung der Klägerin zum Erlass der Änderungsbescheide vom 17. November 2000 ausging und diese Bescheide somit rechtmäßig waren, lag keine unzulässige Beweisantizipation durch das FG vor. Vielmehr kam es auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunktes des FG nicht darauf an, in welcher Höhe die Klägerin von den benannten Zeugen Honorare für die Erstellung von Gewinnermittlungen und Steuererklärungen erhalten hatte. Zudem hätten die Zeugen nur Angaben zu den von ihnen gezahlten Vergütungen machen, jedoch nicht bezeugen können, dass die Klägerin nicht auch für andere, von ihr weder im Fahndungs- noch Klageverfahren benannte Personen Steuererklärungen gegen Entgelt erstellt hat.
2. "Grundsätzliche Bedeutung" kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 23, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Eine Rechtsfrage ist u.a. dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 28, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
Nach diesen Maßstäben ist die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Zustimmung des Steuerpflichtigen zu geschätzten Einkünften in einem steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren, an dem kein zur Entscheidung über die Steuerfestsetzung befugter Amtsträger und kein sach- und fachkundiger Vertreter des Steuerpflichtigen beteiligt war, Bindungswirkung zukommt, nicht klärungsbedürftig. Sie ist durch die Rechtsprechung des BFH bereits hinreichend geklärt bzw. offensichtlich so zu beantworten, wie es das FG getan hat. Nach den BFH-Urteilen vom 5. Juni 2003 IV R 38/02 (BFHE 203, 1, BStBl II 2004, 2) und vom 14. November 1989 VIII R 270/84 (BFH/NV 1990, 776) kann die Erklärung eines steuerlichen Beraters gegenüber dem Betriebsprüfer, er stimme dem in der Schlussbesprechung erörterten Vorschlag des Finanzamts zu und sei mit der entsprechenden Abfassung des Prüfungsberichts einverstanden, vom FA dahin verstanden werden, dass er auch mit dem Erlass entsprechend zu Ungunsten des Steuerpflichtigen gemäß § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) geänderter Steuerbescheide einverstanden sei. Die formalen Voraussetzungen, die der BFH für eine so genannte tatsächliche Verständigung aufgestellt hat, müssen in diesem Fall nicht erfüllt sein. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass die Erklärung, die unabhängig von der Bindung des Finanzamtes an eine bestimmte Sachbehandlung erfolgt, gegenüber einem Sachgebietsleiter der Veranlagungsstelle abgegeben wird. Nichts anderes kann in Fällen gelten, in denen die Erklärung gegenüber einem Beamten der Steuerfahndungsstelle abgegeben wird. Nach § 208 Abs. 1 AO 1977 ist der Steuerfahndung eine Doppelfunktion zugewiesen: eine steuerstrafrechtliche (Nr. 1) und eine steuerliche (Nr. 2 und 3). Aus der gesetzlichen Regelung folgt, dass der Steuerfahndung neben der Erforschung von Steuerstraftaten und Ordnungswidrigkeiten auch die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen übertragen worden ist. Die Zustimmung eines Steuerpflichtigen im Fahndungsverfahren kann daher nicht anders beurteilt werden als eine solche, die im Rahmen einer Außenprüfung erteilt wird. Unerheblich ist auch, dass die Klägerin während des Fahndungsverfahrens nicht steuerlich vertreten war, da sie nach den Feststellungen des FG selbst fachkundig ist.
3. Eine Divergenz zu der BFH-Entscheidung vom 31. Juli 1996 XI R 78/95 (BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625) und dem Urteil des FG München vom 18. Juni 2002 6 K 668/97 kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil in diesen Entscheidungen zu beurteilen war, ob eine bindende tatsächliche Verständigung vorliegt. Im Streitfall hat das FG hingegen erkannt, dass die Klägerin der Änderung der Steuerfestsetzungen zu ihren Ungunsten nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO 1977 zugestimmt hat.
4. Vorliegend geht es auch nicht um die Anwendung der §§ 288 ff. ZPO, die das "im Laufe des Rechtsstreits von dem Gegner bei einer mündlichen Verhandlung oder zum Protokoll eines beauftragten oder ersuchten Richters" erklärte Zugeständnis von Tatsachen betreffen. Schon aus diesem Grunde ist das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. März 2004 II ZR 136/02 (Deutsches Steuerrecht 2004, 966) im Streitfall nicht einschlägig.
Fundstellen
Haufe-Index 1379193 |
BFH/NV 2005, 1494 |